Social Media zwischen Euphorie und Dystopie

Sind die sozialen Medien tot? Zum Auftakt unserer Lunchtalk-Serie "Der digitale Wandel der Wissenschaftskommunikation" haben wir mit Jeanette Hofmann diskutiert, wie sich die Rolle von digitaler Infrastruktur verändert hat und was das für die Wissenschaftskommunikation bedeutet.
von Alena Weil
Wie verändern die sozialen Medien und ihre Algorithmen die Wissenschaftskommunikation? Ist eine informierte Debatte auf Social Media heute noch möglich? Sollen wir alle X verlassen, und welche Alternativen gibt es?
Über diese und weitere Fragen sprach WiD-Geschäftsführer Benedikt Fecher in der ersten Ausgabe unserer neuen Lunchtalk-Serie mit Jeanette Hofmann. Zu Beginn erinnerte Fecher an die frühen Zeiten der sozialen Medien: Damals seien große Hoffnungen mit den Plattformen verbunden gewesen. Nicht zuletzt im Kontext des Arabischen Frühlings sah man das demokratiefördernde Potenzial von Twitter (heute X), Facebook und co. Und heute? „Heute sprechen wir über die sozialen Medien als den Sargnagel der Demokratie“, sagt Fecher.
Wie konnte es soweit kommen? Und wie sollten wir heute mit den sozialen Medien umgehen?
Von der Euphorie zu Dystopie
In der Demokratietheorie sei lange angenommen worden: Je mehr Partizipationsmöglichkeiten die Bürger*innen haben, desto demokratischer sei ein System, sagt Hofmann. In den 2010ern sei aber klar geworden, dass diese Gleichung nicht stimme. Wenn alle Menschen sprechen, dann komme es auch zu Äußerungen, die der Demokratie und dem zivilisierten Diskurs schaden.
Einen Stimmungswandel habe sie auch in der Bewertung der Rolle digitaler Infrastruktur wahrgenommen: Um das Jahr 2015 herum habe es einen Bruch im Sprechen über Demokratie und Digitalisierung gegeben, erklärt Jeanette Hofmann. „Bis 2015 überwiegt die Vorstellung, dass die Demokratie sich digitalisieren muss. 2015 kippt das um in: Die Digitalisierung muss demokratisiert werden.“ Grundsätzlich sei eine solche Entwicklung – von der Euphorie hin zur Dystopie – jedoch bei jedem neuen Medium zu beobachten gewesen, also etwa auch beim Buchdruck oder dem Fernsehen. Die sozialen Medien erlebten wir vor allem deshalb als so umstürzend, weil sich die Sprecherrollen umgekehrt hätten, so Hofmann. Die Medien verlieren ihre Funktion als Gatekeeper, plötzlich kann sich jede*r äußern. Zugleich komme es jedoch zu einer Fragmentierung der Öffentlichkeit, erklärt Hofmann. Und das sei ein Problem für die Demokratie: Man könne sich nicht mehr darauf verlassen, dass relevante Nachrichten alle Menschen erreichen.
Die Verwandtschaft zwischen Populismus und Social Media
Hinzu kommt: Die sozialen Medien funktionieren nach ihren eigenen Logiken. Diese Logiken wiederum beeinflussten unsere politische Kommunikation, so Hofmann. Hier spielt auch das Konzept der Aufmerksamkeitsökonomie eine Rolle. Die Aufmerksamkeit der Menschen ist ein begrenztes Gut, um das die Medien konkurrieren. Das Geschäftsmodell der sozialen Medien basiere auf Werbung, erklärt Hofmann. Die Plattformen bevorzugen daher Inhalte, die unsere Aufmerksamkeit binden. Das führe dazu, dass etwa Skandale auf Plattformen besonders sichtbar seien, weil sie viel Aufmerksamkeit erzeugten. Zudem zeichnen sich die Plattformen durch kurze Formate aus - und zwingen deshalb zu Zuspitzungen. Politische Inhalte müssten etwa auf ein Format von zwei Minuten heruntergebrochen werden. Zugespitzte Inhalte seien auf Plattformen wie X oder TikTok besonders erfolgreich. Jeanette Hofmann stellt hier eine „Verwandtschaft” zwischen populistischen Inhalten und der Funktionsweise von Social Media fest.
Der Wandel der Öffentlichkeit sei aber grundsätzlich nicht allein auf einen Wandel der Kommunikationstechnologien zurückzuführen, sagt Hofmann. Populistische politische Kommunikation nehme im Allgemeinen zu, insbesondere in Ländern, in denen liberale Demokratien drohen, in illiberale Demokratien zu kippen. Dort werde Desinformation zu einem beliebten Mittel politischer Kommunikation. „Der Wahrheitsanspruch wird suspendiert“, so Hofmann. Diese Art der Kommunikation passe wiederum gut zu Medien, die kurze Inhalte präferieren.
Kurznachrichtendienst X: Gehen oder bleiben?
Wie Populismus, Desinformation und soziale Medien zusammenwirken, lässt sich derzeit gut in den USA und auf dem Kurznachrichtendienst X beobachten. Die Plattform wurde 2022 von dem Milliardär Elon Musk übernommen. Angesichts der politischen Äußerungen Musks in den vergangenen Jahren und der Entwicklungen auf X fragen sich viele Nutzer*innen sowie Organisationen, ob man auf der Plattform bleiben oder sie verlassen sollte.
Das sei nicht nur eine Wertefrage, sagt Hofmann. Es komme auch darauf an, ob die eigene Zielgruppe auf X überhaupt noch erreicht werde. Seit der Übernahme von Musk habe sich die Plattform deutlich verändert. Hofmann berichtet: Inhalte, die mit Links versehen sind, würden etwa heruntergestuft. Algorithmen seien so verändert worden, dass sie Inhalte rechtsradikaler Akteur*innen besonders sichtbar machen. Viele Menschen verließen die Plattform und wechselten zu anderen Netzwerken, etwa Bluesky. Diese Wanderbewegung werde anhalten, vermutet Hofmann. Das Problem sei, dass es eine Desorientierung in der Frage gebe, welche Plattform X am besten ersetze. Auf LinkedIn seien Nutzer*innen sehr aktiv, reagierten auf Inhalte, diskutierten. Das Netzwerk sei für Wissenschaftskommunikation sinnvoll. Bluesky wachse aktuell stark und habe daher auch ein gewisses Potenzial.
Guter Journalismus statt staatliche Regulierung
Doch nicht alle Probleme lassen sich durch einen Weggang bzw. Wechsel des Mediums lösen. Welche Rolle könnte staatliche Regulierung im Umgang mit Desinformation spielen, möchte Benedikt Fecher wissen. „Ich bin ja immer skeptisch, wenn Staaten versuchen, sich als Wahrheitsministerien zu betätigen”, sagt Hofmann. Desinformation sei ein komplexes Thema. Meist handele es sich um Narrative, die sowohl Lügen als auch Wahrheit enthalten. Somit sei Desinformation schwierig zu fassen und zu handhaben. Hofmann warnt daher vor Regulierung durch den Staat: Weitreichende staatliche Eingriffsmöglichkeiten könne etwa in Zukunft von einer möglichen AfD-Regierung als Machtinstrument missbraucht werden.
Im Kampf gegen Desinformation plädiert sie dafür, auf einen anderen Akteur zu setzen: Im internationalen Vergleich sehe man, dass Desinformation in verschiedenen Ländern unterschiedlich schädlich sei – je nachdem, wie robust die nationale Medienlandschaft ist. In Deutschland hätten wir starke öffentlich-rechtliche Medien, betont Hofmann, denen nach wie vor viele Menschen vertrauen. Eine gute Medienlandschaft verbiete keine falschen Aussagen, aber sie lege Widerspruch in einer hörbaren Weise ein. Hofmann schlägt vor, die öffentlich-rechtlichen Medien zu fördern und über neue Finanzierungsmodelle für den professionellen Journalismus nachzudenken.
Zugleich müssten Kommunikator*innen sich auf neue Entwicklungen einstellen: Die Fähigkeiten und Sehgewohnheiten der jungen Generation veränderten sich. Viele junge Menschen nutzen TikTok, zugleich gebe es eine Bereitschaft, sich neue Plattformen und neue Formate anzuschauen. „Ich glaube, wir können da in den nächsten Jahren noch Bewegung erwarten”, sagt Hofmann, “weshalb die Kommunizierenden auch selbst Flexibilität an den Tag legen müssen.”
Jeanette Hofmann ist Politikwissenschaftlerin und leitet am WZB die Forschungsgruppe „Politik der Digitalisierung“. Sie ist Gründungsdirektorin des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft und Professorin für Internetpolitik an der FU Berlin. Am Weizenbaum-Institut leitet sie als Principal Investigator die Forschungsgruppe Technik, Macht und Herrschaft. Sie ist Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission Digitalisierte Gesellschaft der Leopoldina. Von 2010 bis 2013 war sie Sachverständige in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages.
Am Mittwoch, den 12. Februar, 12-13 Uhr, sprechen wir mit David Kaldewey zum Thema “Unterschätzen wir die Macht von Plattformen?”.
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