„Die Realität der Fakten ist nicht binär“

Ein gut gefüllter Hörsaal
© D. Ausserhofer / WiD
12. Dezember 2024

Mit Rekordzahlen bei den Teilnehmenden begann in der Urania Berlin das Forum Wissenschaftskommunikation. Im Mittelpunkt der Sessions und Workshop stand das Thema „Wissenschaftskommunikation für eine starke Demokratie und offene Gesellschaft“.

Von Alena Weil und Simon Esser

Die offene Gesellschaft sei ein wichtiges Thema für die Wissenschaftskommunikation – jetzt und in Zukunft. Das sagte WiD-Geschäftsführer Benedikt Fecher in seiner Begrüßung. „Welchen Beitrag können wir als Wisskomm-Community angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen leisten? Wo sind unsere Grenzen? Und wo stellen wir unser Licht unter den Scheffel?“ Diese und weitere Fragen wollen wir in den kommenden zwei Tagen diskutieren, so Fecher.

Dr. Ina Czyborra, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes Berlin
Dr. Ina Czyborra, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes Berlin | © D. Ausserhofer / WiD

Zur Eröffnung sprach Dr. Ina Czyborra, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes Berlin, ein Grußwort: „Es ist sehr schön, dass diese renommierte Veranstaltung nach 15 Jahren wieder in Berlin und an diesem traditionsreichen Ort stattfindet: Eine der ältesten Institutionen der Wissenschaftskommunikation.“ Das Forum sei mehr als eine Tagung. Es sei ein Katalysator für die Weiterentwicklung des Berufsbildes Wissenschaftskommunikation und für die Stärkung ihrer Rolle in der Forschung, so Czyborra. Es gehe darum, das Vertrauen in den wissenschaftlichen Prozess zu stärken und über Disziplinen, Institutionen und Altersgruppen hinweg ins Gespräch zu kommen. „Das alles muss durch Wissenschaftskommunikation geleistet werden.“ Der diesjährige Themenschwerpunkt sei essentiell als Aufruf, aber auch als Versprechen, sagte die Senatorin.

Zwei Personen auf der Bühne, eine steht am Pult und spricht. Im Hintergrund der Schriftzug Forum Wissenschaftskommunikation.
Johanna Sprondel, Direktorin der Urania Berlin, begrüßt die Teilnehmer*innen des Forums | © D. Ausserhofer / WiD

Wissenschaftliches Wissen sei in Zeiten der Umbrüche und Krisen die grundlegende Ressource für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Das hob Johanna Sprondel, Direktorin der Urania Berlin, in ihrer Eröffnungsrede hervor: „Wissen allein genügt nicht. Es muss geteilt und diskutiert und vor allem auch in gesellschaftliches Handeln übersetzt werden.“ Wissenschaftskommunikation sei daher elementarer Bestandteil einer Demokratie und müsse als Kernaufgabe der Wissenschaft selbst verstanden werden.

Lilian Knobel, Geschäftsführerin für Bildung und Wissenschaftskommunikation der Klaus Tschira Stiftung
Lilian Knobel, Geschäftsführerin für Bildung und Wissenschaftskommunikation der Klaus Tschira Stiftung | © D. Ausserhofer / WiD

Zum Auftakt des Forums sprach auch Lilian Knobel, Geschäftsführerin für Bildung und Wissenschaftskommunikation der Klaus Tschira Stiftung. Sie verglich die Konferenz mit einem antiken Forum: Es gehe nicht nur um eine Tagung, sondern um „Austausch, Diskussion, Debatten, miteinander und voneinander lernen und manchmal auch unterschiedliche Meinungen haben.“
Die Wissenschaftskommunikation durchlebe gerade ein coming of age, befand Knobel. Sie werde erwachsen und müsse sich mit Herausforderungen, etwa den zunehmenden Angriffen auf Forschende, auseinandersetzen.

Prof. Dr. David Kaldewey, Wissenschaftssoziologe an der Universität Bonn, ging in seiner Keynote „Wie funktioniert gute Wissenschaftskommunikation in einer Krise der Faktizität?“ der Frage nach, welche Rolle Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation bei der Bearbeitung und Lösung aktueller Herausforderungen spielen - von politischen Umbrüchen über geopolitische Konflikte bis hin zu den großen ökologischen Fragen.

Eine verbreitete Befürchtung sei, dass zunehmende Wissenschaftsskepsis und der Verlust eines gemeinsamen Wahrheitsbezugs die Wissenschaft daran hindere, ihr Wissen und ihre Problemlösungskompetenz der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Diese Interpretation werde jedoch der Komplexität der Gesamtsituation nicht gerecht, so Kaldewey. Die Krise der Faktizität sei komplizierter als in der populären Rede von Wissenschaftsfeindlichkeit, alternativen Fakten und Infodemie dargestellt. „Die Realität der Fakten ist nicht binär“, so Kaldewey.

Prof. Dr. David Kaldewey, Wissenschaftssoziologe an der Universität Bonn
Prof. Dr. David Kaldewey, Wissenschaftssoziologe an der Universität Bonn | © D. Ausserhofer / WiD

David Kaldewey hinterfragte etablierte Begriffe und Framings, die in Krisenzeiten schnell Eingang in Debatten und manchmal auch in die Wissenschaftskommunikation finden: So der Begriff der „Wissenschaftsleugnung”. Kaldewey kritisiert, dass solche „Kampfbegriffe” zu einer problematischen Vereinfachung führten. Sie polarisierten und böten wenig konstruktive Ansätze zur Problemlösung.

Auch der Begriff der „alternativen Fakten” sei problematisch. Kaldewey schlägt stattdessen vor, von „Halbwahrheiten“ zu sprechen. So hätten Verschwörungstheorien etwa oft einen wahren Kern, um den herum aber Falschaussagen formuliert würden. Ebenso solle ein Begriff wie „Infodemie” nicht unkritisch übernommen werden, so Kaldewey. Die Logik, komplexe Probleme auf einen Begriff zu bringen, berge Risiken.

In seinem Vortrag entwickelte der Soziologe eine weitergehende Interpretation der Krise der Faktizität. Um die Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation in Krisenzeiten zu verstehen, stellte Kaldewey vier zentrale Dimensionen vor:

Demarkationsproblem: Die Unterscheidung zwischen Information und Desinformation sei schwierig, da eine klare Abgrenzung oft nicht möglich sei.

Unsicherheit des Wissens: Wissenschaftliches Wissen sei immer mit Unsicherheiten behaftet. Diese Unsicherheiten müsse klar kommuniziert werden, ohne das Vertrauen in die Wissenschaft zu gefährden.

Wertegeladenheit wissenschaftlicher Fakten: Fakten sind oft politisiert und nicht wertfrei. Die Herausforderung bestehe darin, diese Werteoffenheit transparent zu machen.

Pluralität wissenschaftlicher Perspektiven: Wissenschaftliche Perspektiven und Disziplinen sind vielfältig und manchmal widersprüchlich. Diese „multiplen Fakten“ könnten trotzdem belastbares Wissen darstellen.

In Krisen empfiehlt Kaldewey eine mehrdimensionale Wissenschaftskommunikation, die alle vier Dimensionen der Faktizitätskrise berücksichtigt. Ziel müsse es sein, die Komplexität wissenschaftlichen Wissens offen und verständlich zu vermitteln.

Gute Wissenschaftskommunikation greife die Krise der Faktizität auf, mache sie verständlich und traue sich, kritisch zu sein – auch gegenüber der Wissenschaft selbst. Am Ende seiner Keynote zog Kaldewey ein positives Fazit:

„Die Tatsache, dass Fakten unsicher und wertgeladen seien, schwächt weder ihre Robustheit noch ihre Relevenz“, so Kaldewey. Gute Wissenschaftskommunikation „checke“ nicht einfach die Fakten, sondern feiere sie in ihrer Komplexität, Relevanz und Vielseitigkeit.