Debatte über Desinformation: Ein Plädoyer für eine starke Wisskomm
Welche Rolle spielt Wissenschaftskommunikation im Kampf gegen Desinformation? Und passen Forschung und Aktivismus zusammen? Darüber diskutierten Pia Lamberty, Gwendolyn Sasse, Franziska Davies und Stefanie Orphal beim Forum Wissenschaftskommunikation 2024.
Von Alena Weil
Die Diskussionsrunde am Donnerstagvormittag war für viele Besucher*innen sicherlich eines der Highlights beim Forum Wissenschaftskommunikation 2024. Die Expert*innen beleuchteten das Thema Desinformation insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Warum verfängt Propaganda in diesem, wie in vielen weiteren Fällen, so gut? Das will Moderatorin Dr. Stefanie Orphal, Leiterin der Kommunikation am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, zum Auftakt wissen. Psychologin Dr. Pia Lamberty, Center für Monitoring, Analyse und Strategie, betont: Propaganda verfange immer dort gut, wo sie auf eine offene Haltung trifft. „Wir alle können manipuliert werden.” Es müsse nur das richtige Thema sein und zu unserer Haltung passen. Das zeigten viele Studien, so Lamberty.
Zielgruppen würden spezifisch adressiert: Über Plattformen wie Russia Today etwa, die Personen mit rechten Positionen anspreche und bereits bei den Pegida-Demonstrationen 2014 sehr aktiv gewesen sei. Es gebe aber auch Akteure, die sich an linke Zielgruppen richteten, etwa die Nachrichtenseite „Red”. Über Themen wie Klimaschutz oder Hochschulbesetzungen würden linke Personen gezielt angesprochen. Lamberty erklärt: Die Menschen würden so in ihrem Weltbild bestätigt und radikalisierten sich durch die permanente Konfrontation mit bestimmten Inhalten immer weiter.
Die Verantwortung der Medien
Doch wie muss man dieser Desinformation begegnen? Wie können wir etwas entgegensetzen? Es sei wichtig, in der Wissenschaftskommunikation nicht nur Propagandanarrative zu widerlegen, betont die Historikerin Dr. Franziska Davies von der LMU München. Wenn man etwa Aussagen des russischen Präsidenten Putin dekonstruiere, sei es immer noch Putin, der die Begriffe bestimme. Davies plädiert dafür, eigene Themen zu setzen. Also etwa nicht zum wiederholten Male zu erklären, warum die Ukraine keine künstliche Nation ist, sondern stattdessen beispielsweise Stimmen aus der Ukraine zu Wort kommen zu lassen.
Die Diskussionsrunde thematisiert auch die Verantwortung der Qualitätsmedien. So kritisiert Davies, dass auch große deutsche Medien bis 2022 teilweise russische Propagandanarrative übernommen hätten. Auch ist die Frage, welche Expert*innen in den Medien sprechen. Pia Lamberty kritisiert, es gebe zu wenig Standards im Hinblick auf die Frage: Wer ist eigentlich sprechfähig für was, und aus welcher Perspektive? Hier brauche es bessere Qualitätskriterien in den Medienhäusern. Prof. Gwendolyn Sasse, wissenschaftliche Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien, weist dabei auch auf das Problem der False Balance in Medien hin.
„Wenn wirklich große Krisen passieren, sei es eine Pandemie oder ein Angriffskrieg, dann öffnet sich auch ein öffentlicher Diskursraum”, sagt Sasse. Oft komme es dann zu Situationen, in denen Forschende in Talkshows mit vermeintlichen anderen Expert*innen sitzen, die aber keine wissenschaftliche Kompetenz zu diesem Thema besitzen. In diesem Zusammenhang ergebe sich für Wissenschaftler*innen ein Dilemma, sagt Franziska Davies: Soll man sich auf ein mediales Streitgespräch mit einer Person einlassen, obwohl diese in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung keine Rolle spielt – etwa, weil sie sich nicht an die wissenschaftlichen Funktionsweisen und Standards hält? Davies sagt, sie beantworte diese Frage zunehmend mit Nein. „Einfach zu sagen: Nein, diese Person legitimiere ich nicht dadurch, dass ich dieses Streitgespräch vorführe, obwohl das in der Wissenschaft überhaupt keine Debatte ist.”
Sollen sich Forschende überhaupt positionieren, wenn es um große gesellschaftliche Fragen und Krisen geht? Riskieren sie, ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit zu verlieren? Historikerin Davies betont, man könne dieser Thematik am besten mit Transparenz begegnen, indem man „dieses potenzielle Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaftlerin, Staatsbürgerin, Aktivistin offenlegt.” Sie sagte aber auch: Aktivismus und Wissenschaftlichkeit müssten sich nicht ausschließen. Schließlich positioniere man sich auf Grundlage der eigenen wissenschaftlichen Expertise. Davies kritisiert auch die Perspektive an sich und dreht die Frage um: Würden Forschende, die sich nicht äußern, denn auch gefragt: „Wie vereinbaren sie ihre Rolle als Wissenschaftlerin mit ihrem Schweigen”?
Öffentliche Positionierungen von Wissenschaftler*innen führen aber auch zu Reaktionen – nicht immer zu guten. Dessen müsse man sich bewusst sein, sagt Sasse. „Man wird natürlich dann auch angefeindet.” Dies hätten sicherlich alle kommunizierenden Forschenden schon erfahren. Zumindest in der Runde können alle drei beteiligten Wissenschaftler*innen von ihren Erfahrungen mit Hass und Bedrohung erzählen. Das Risiko werde global immer größer für Menschen, die sich für eine faktenbasierte, freie Welt einsetzen, betont Psychologin Pia Lamberty. Das müsse man sich bewusst machen.
Selbstzensur aus Angst vor Anfeindungen?
Durch die eigene Forschung und die Kommunikation dieser könne man sich selbst, aber auch andere Menschen, in riskante Positionen bringen, so Sasse. Das könne natürlich auch die eigene Forschung beeinträchtigen. Sodass man sich frage: „Wozu kann ich denn noch forschen, damit mir nichts passiert und damit auch anderen nichts passiert.” Auch Pia Lamberty weist auf die Gefahr hin, dass Forschende sich angesichts des zunehmend polarisierten Klimas selbst zensieren. Sie berichtet von einer Studie aus der Klimawissenschaft. Diese hätte gezeigt, dass Klimaforscher*innen sich mehr zurückhalten und konservativere Prognosen kommunizierten, aus Angst, als alarmistisch bezeichnet und angegriffen zu werden. Sie habe das auch bei anderen Wissenschaftler*innen beobachtet, so Lamberty. Dass die eigene Arbeit sich verändere – „und vielleicht nicht so, dass einem das immer bewusst ist.”
Damit Forschende auch in diesem gesellschaftlichen Klima weiterhin frei forschen und kommunizieren können, brauche es mehr Unterstützung. Diese Unterstützung müsse einerseits von Gleichgesinnten kommen, so Politikwissenschaftlerin Gwendolyn Sasse. Zum anderen seien aber auch die Institutionen in der Pflicht, sich hinter ihre Forscher*innen zu stellen. Dies sei leider nicht immer der Fall, berichten die drei Expert*innen. „Der fehlende institutionelle Rückhalt ist ein riesiges Problem. Das beunruhigt mich sehr”, erklärt Franziska Davies. Sowohl in den Institutionen, aber auch in Medien und Politik würde die Gefahr nicht erkannt, die von antidemokratischen und extremistischen Kräften ausgehe.
Es brauche gute Netzwerke, eine bessere Unterstützung durch die Institutionen und die großen Forschungsgesellschaften und eine bessere finanzielle Ausstattung. So lautet das Fazit der Diskussionsrunde. Und auch: Mehr Wertschätzung für Wissenschaftskommunikation. Es werde im Wissenschaftsbetrieb nicht wirklich honoriert, wenn man kommuniziert, kritisiert Gwendolyn Sasse.
Dabei braucht es gerade im Kampf gegen die zunehmenden Anfeindungen und die Verbreitung von Desinformation eine starke Wissenschaftskommunikation. In diesem Sinne verbindet Pia Lamberty mit der angesprochenen Wissenschaftsfeindlichkeit auch ein Plädoyer für mehr Kommunikation: „Denn je mehr Menschen etwas sagen, desto weniger gefährlich ist es für einzelne.”