„Da hat jede was zu erledigen und jeder seine Berechtigung“

Porträt von Gesa Fischer
Gesa Fischer ist Co-Leiterin der Wissenswerkstadt Bielefeld. | © Stadtmarketing Bielefeld
26. Oktober 2023

Impulse für eine neue Debattenkultur sucht das Forum Wissenschaftskommunikation 2023 vom 15. bis zum 17. November in Bielefeld. Mit der Wissenswerkstadt Bielefeld und dem Haus des Wissens in Bochum entstehen mitten in der Innenstadt neue Orte für lebendige Diskussionen und inspirierende Wissenschaftserlebnisse. Gesa Fischer, Co-Leiterin der Wissenswerkstadt Bielefeld, spricht im Interview darüber, warum Wissenschaftsorte in der Innenstadt produktive Debatten befördern und was Teilnehmer*innen

von Simon Esser

Frau Fischer, wieso interessieren Sie sich für Orte in der Innenstadt?

Ich komme ja aus der Tradition des Stadtmarketings. Da haben wir immer schon geschaut, wie wir Wissenschaft in die Innenstadt holen können, mitten rein zu den Menschen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, auch zu den Menschen hinzugehen, selbstverständlich Teil der Innenstadt zu werden. Wir haben viele Jahre ein großes Science-Festival organisiert, die GENIALE. Was wir da getan haben, wollen wir jetzt an einem Ort der Wissenschaft verstetigen.

Nun sind Universitäten Wissenschaftsorte, die klassischerweise auch in Städten liegen. Welche Rolle spielt es, einen außeruniversitären Wissenschaftsort zu schaffen?

In Bielefeld sind die Hochschulen auf einem sehr schönen Campus gelegen, der aber ein bisschen weiter raus ist. Man muss sich schon aktiv dafür entscheiden, dort hinzufahren. Mitten hinein in die Stadt zu gehen, heißt, dahin zu gehen, wo sich viele Menschen ohnehin aufhalten. Wo sich auch viele verschiedene Menschen aufhalten. Auch Universitäten bieten tolle Wisskomm-Projekte an - die Universität Bielefeld zum Beispiel das Forum Offene Wissenschaft, eine Vorlesung, die während des Semesters wöchentlich stattfindet. Zu ihr kommen regelmäßig viele Menschen, die oftmals keine Universitätsangehörigen sind. Dennoch: Ich glaube, wenn man Umfragen machen würde und Menschen fragte, „darf man einfach in eine Hochschule reingehen, ohne dass man da studiert oder lehrt oder arbeitet?”, würden relativ viele sagen: „Nein, das darf man nicht”.

Das besondere an einem Ort in der Innenstadt ist, dass man sich auf gemeinsamen Grund bewegt. Die Innenstadt gehört ja erst einmal allen. Die Schwelle ist kleiner, in so einen öffentlichen Ort zu gehen, als die Universität zu betreten. In der Innenstadt bin ich unterwegs, da hat auch jede was zu erledigen und jeder seine Berechtigung. Da sind ganz viele Menschen, mit denen man im Privaten keine Überschneidungen hat, weil man nicht ähnliche Arbeitgeber oder Hobbys hat. Daher finde ich es besonders spannend, dass man sich auf einem gemeinsamen Grund auf Augenhöhe begegnen kann. Und das ist unser Anliegen, dass wir viele unterschiedliche Menschen erreichen. Wir wissen, wie schwierig das ist. Darum wird es auch in der Session gehen: wie man Niederschwelligkeit hinbekommt.

Der Titel der Session „Wo einst Karstadt war” ist durchaus provokant gewählt: Karstadt hat oftmals nicht mehr funktioniert, viele Menschen bevorzugten Onlinehandel. Warum sollte das anders aussehen, wenn es um Wissenschaftskommunikation geht?

Das Digitale kann die physische Begegnung, das Sich-Sehen, das Sich-über-den-Weg-Laufen, nicht ablösen. Wir wollen einen Begegnungsort schaffen. Darum haben wir das Konzept des Dritten Ortes gewählt – ein Gemeinschaftsort neben dem Arbeits- und Wohnort. Die Definition ist nicht neu und es gibt ja auch andere tolle Dritte Orte, Stadtbibliotheken zum Beispiel oder bei weiterer Fassung des Begriffs auch Parks und öffentliche Plätze. Es ist ein Ort, der keinen Konsumzwang hat, an dem die Tür grundsätzlich offensteht.

Wir erleben gerade einen Wandel unserer Innenstädte und bekommen das beim Stadtmarketing natürlich ganz massiv mit. Der stationäre Handel verliert an Bedeutung. Bielefeld hat es nicht so schwer wie mittelgroße und kleinere Städte, aber auch hier gibt es Leerstand in der Innenstadt. Stadtentwickler*innen und sehr viele Bürger*innen interessiert, wie wir zukünftig unsere Innenstadt und unsere Gebäude gestalten. In einem großen Stadtmarkenprozess wurden die Bielefelder Bürger*innen gefragt, was sie als Stärken von Bielefeld sehen. Neben starker Wirtschaft und Nennungen im Bereich Kultur und Freizeitgestaltung haben die Menschen am häufigsten Wissenschaft genannt. Das ist durchaus überraschend, weil wir keine jahrhundertealte Wissenschaftstradition haben. Die Universität wurde Ende der 60er-Jahre gegründet, kurz danach die Fachhochschule. Es zeigt aber: Das Thema ist total präsent und den Menschen wichtig. Das ist natürlich ein ganz wichtiges Argument, um in einer Stadt wie Bielefeld zu sagen: Wir schaffen in der ehemaligen Stadtbibliothek einen Begegnungsort rund um das Thema Wissen und Wissenschaft.

Sie sind mit dem Begriff des Gemeinschaftsorts auf die Definition des Soziologen Ray Oldenburg eingegangen. Er beschreibt Dritte Orte auch als Treffpunkte für ein wechselndes Publikums, z.B. Pubs. Erwarten Sie Stammgäste oder ein Publikum, das spontan vorbeikommt?

Ich glaube, es ist schon wichtig für einen lebendigen Begegnungsort, dass man eine Community bildet. Da wir auch eine Gastronomie im Haus haben, können aber auch Menschen über das Angebot stolpern, die gar kein konkretes Besuchsinteresse haben. Sie können rumlaufen und sich umgucken, oder eine Pause einlegen - von was auch immer sie tun. Für dieses Laufpublikum werden wir viele Angebote anbieten, an denen es ohne Anmeldung oder Vorwissen teilnehmen kann: Ich schlendere, gucke mir zwei, drei Sachen an, probiere zwei, drei Sachen aus – und bin dann wieder weg. Es wird aber auch möglich sein, sich zu Angeboten anzumelden und dann intensiv an Workshops, Abendveranstaltung, Bühnenformaten und weiterem teilzunehmen. Das geht hin bis zu unseren Makerspaces, in denen handfeste Lösungen erarbeitet werden.

Wer sollte Ihre Session beim fwk23 unbedingt besuchen?

Die Session ist spannend für diejenigen, die Interesse an der Durchführung eines Kooperationsprojekts haben und bereit sind, auch mal mit Partnern zu kooperieren, die gar nicht so unmittelbar auf der Hand liegen. Wir werden erzählen, was wir in Bielefeld und die Kolleg*innen in Bochum geplant haben. Und auch, was an strategischen Entscheidungen und konzeptionellen Ideen dahintersteckt.

Angesprochen sind auch all jene, die sich fragen: Wie kann man neben informierenden und interaktiven Formaten auch Partizipation und eine Debattenkultur umsetzen? Wir alle wollen niederschwellige Formate, aber wie bekommt man das hin, dass die Menschen das Gefühl haben: Ja, das ist auch was für mich. Ich kann mir das anhören, auch wenn ich keinen Universitätsabschluss habe.

Ich freue mich außerdem auf den Austausch mit Menschen, die an Hochschulen im Bereich Wissenschaftstransfer arbeiten. Wir erleben ein großes Interesse von Hochschulen an der jeweiligen Stadt, in der sie angesiedelt sind. Es ist total spannend, sich zusammen anzusehen, wie sich Städte als gemeinsame Lebensräume entwickeln und welche Rolle Wissenschaft dabei spielen kann.

Forum Wissenschaftskommunikation, Donnerstag, 16. November, 9.00–10.15 Uhr
Session: „Da wo früher mal Karstadt war …“ – Dritte Orte in der Innenstadt als Wissens- und Debattenorte?
Moderation: Giovanni Fusarelli, Wissenswerkstadt Bielefeld (Bielefeld Marketing)
Referent*innen: Sarah Köthur, Haus des Wissens Bochum, Gesa Fischer, Wissenswerkstadt Bielefeld (Bielefeld Marketing)