Was machen denn die Wissenschaftler*innen in ihren Laboren oder an ihren Schreibtischen?
Seit vielen Jahren geht die MS Wissenschaft auf Fahrt, mit einer Ausstellung zum Thema des Wissenschaftsjahres an Bord. Chemie und Mathe, Meere und Ozeane waren Thema, und in den vergangenen beiden Jahren die Bioökonomie. Doch was tun, wenn das Wissenschaftsjahr „Nachgefragt“ heißt und Fragen der Menschen für die Wissenschaft sucht? Wir sprachen mit Francesca Belli vom Ausstellungsbüro beier+wellach projekte und Maren Grüber, Projektleiterin bei WiD.
von Ursula Resch-Esser
Das aktuelle Wissenschaftsjahr steht unter dem Motto „Nachgefragt“. Wie macht man dazu eine Ausstellung?
Maren: Als wir zum ersten Mal das Thema „Nachgefragt“ gehört haben, dachten wir, das wird schwierig. Anders als in den Vorjahren ist das kein klar umrissenes Thema. Wir haben uns überlegt, wie wir mit der Ausstellung die Bürger*innen dazu bewegen können, überhaupt Fragen für die Wissenschaft zu stellen. Dafür haben wir vier Themenfelder definiert. Zunächst ist es wichtig zu verstehen, wie überhaupt Forschung funktioniert. Was machen denn die Wissenschaftler*innen in ihren Laboren oder an ihren Schreibtischen? Im zweiten Feld wollten wir zeigen, wie Wissen aufeinander aufbaut, so dass es zum heutigen Wissensstand gekommen ist. Die drängenden Fragen der Zukunft und die Fragen, an denen Wissenschaftler*innen heute forschen, wollten wir als nächstes thematisieren. Und nicht zuletzt fanden wir es wichtig, den Citizen-Science-Aspekt aufzugreifen, zu zeigen, wie Bürger*innen selbst aktiv werden können. Mit diesen Ideen sind wir auf das Ausstellungsbüro beier+wellach projekte zugegangen.
Wie kommt man von diesen Ideen zu einem Konzept für eine Ausstellung zum Anfassen und Mitmachen?
Francesca: Zuerst haben wir uns die Frage gestellt, woher kommt der Anspruch dieses abstrakte Thema „Nachgefragt!“ in den Mittelpunkt des Wissenschaftsjahres zu rücken. Für uns war schnell klar, dass es darum gehen muss, die Anschlussfähigkeit der Wissenschaft an die Bürger*innen wiederherzustellen. Aufbauend auf dieser Grundlage wollten wir eine Ausstellung entwickeln, die diesen Zweck erfüllt. Eigentlich geht es in der Wissenschaft doch darum, dass wir unsere Welt verstehen wollen. Diesen Prozess des Verstehens, diesen endlosen Erkenntnisprozess und die angewendeten Methoden wollen wir für die Besucher*innen greifbar machen. Wir wollen hinter die Kulissen der Wissenschaft schauen, aber auch bestehende Strukturen und Prozesse in Frage stellen und auch das Scheitern zeigen. Wir Menschen versuchen ja, fehlerfrei zu arbeiten. Dabei helfen doch gerade Fehler und Umwege der Erkenntnis. Anhand dieser Leitidee haben wir uns Themen und Gestaltungsformate überlegt, die nah an der Lebenswelt von Bürger*innen sind und die Besucher*innen befähigen die Wissenschaft kritisch zu hinterfragen. Daraus haben wir eine Rahmenerzählung und ein Raumbild mit verschiedenen Installationen entwickelt und die Einbindung der Exponate der Institute herausgearbeitet.
Welche Installationen sind das?
Francesca: Eine findet man schon am Treppenaufgang. Man sieht Darstellungen und Bilder von ersten Bibliotheken und Kunstkammern bis hin zu neueren Serverräumen. Damit wollen wir zeigen, dass die Menschheit immer schon versucht hat, Wissen zu ordnen, zu speichern, zu kategorisieren und zu strukturieren, um es greifbar zu machen. Dieses Thema zieht sich durch die ganze Ausstellung. Eine wichtige Frage für die Rahmenerzählung ist, wie ordnen wir unsere Welt und unser Wissen. Aber auch das Hinterfragen: Wie verhindern solche Strukturen und dieses Kastendenken vielleicht neue Erkenntnisse. Dadurch wird man in das Thema eingeführt: Woher kommt unser Wissen und wie funktioniert unser Wissen.
Dieses Thema kommt auch in der Gestaltung zum Ausdruck, etwa in den langen Regalen an den Wänden des Schiffs.
Francesca: Genau, das Raumbild spiegelt die Versuche und Prozesse unsere Umwelt zu verstehen wider und auch das Ordnen und Kategorisieren, die Struktur innerhalb der Wissenschaft. Du hast es Regale genannt, wir haben es Gerüst getauft. Es ist ein Raster, was an dieses „Kastensystem“ anschließt und an die Annahme, dass der Mensch Ordnungssysteme braucht, um zu verstehen. Aber – und da muss man dann genauer hinschauen – das Gerüst bricht an bestimmten Stellen auf. Damit wollen wir zeigen, dass es an bestimmten Stellen gut und notwendig ist, Strukturen aufzubrechen und dass insbesondere auch Irrwege und Denken out-of-the-box die Wissenschaft weiterbringen.
Wie fügen sich die weiteren Installationen in dieses Raumbild ein?
Francesca: Die finden sich genau in den Unterbrechungen des Gerüsts. Unsere zweite Installation zieht sich an acht Stationen durch das ganze Schiff. Wir haben sie Wege der Erkenntnis genannt. Sie gibt Einblicke ins innere und äußere Universum, in unseren Mikrokosmos und ins Weltall. Das sind sehr alte und populäre Themen, die die Wissenschaft und die Menschheit auch heute noch bewegen. Deshalb haben wir uns für dieses Thema entschieden, als Beispiel für das Generieren von Wissen. Und wir haben Beispiele ausgesucht, die aufzeigen, dass auch Fehlerkenntnisse die Wissenschaft vorantreiben. Etwa die vermeintliche Beobachtung von „Kanälen“ auf dem Mars durch den Astronomen Schiaparelli und die – falsche – Schlussfolgerung, dass es dort intelligentes Leben gibt. Dass das Kanalsystem zumindest teilweise einfach eine optische Täuschung war, können die Besucher der MS Wissenschaft in unserem Exponat selbst ausprobieren. Solche früheren Erkenntnisse haben nicht nur die Wissenschaft bewegt, sondern auch unsere Kultur. Schiaparellis Beobachtungen und die daraus entstandenen Schlussfolgerungen sind der Grundstein etlicher Science-Fiction Geschichten von Außerirdischen, die uns bis heute faszinieren und beeinflussen.
Neben dem Gerüst fällt eine große Installation mit Neonlichtern und Schriftzügen auf, für was steht sie?
Francesca: Das ist die Medieninstallation, die sehr ins Auge springt. An drei Stationen können Besucherinnen und Besucher dort direkt ihre Fragen an die Wissenschaft einfließen lassen. Mithilfe der Installation mit Neonlichtern und Kioskschildern haben wir Orte der Kommunikation in unserem Alltag abgebildet. Wo findet Kommunikation außerhalb dieses Kistendenkens statt? Die Installation soll auch zum Austausch zwischen Wissenschaft und Bürger*innen anregen, auf Augenhöhe und eben an ungestalteten Orten - nicht innerhalb eines Symposiums etwa, sondern im Alltag. Hierzu standen informelle Orte wie zum Beispiel die Spätis und ihre ungestaltete Kommunikationsatmosphäre Pate.
Die meisten Exponate sind, wie jedes Jahr, Leihgaben der Wissenschaftsorganisationen. Welche Herausforderung gab es in diesem Jahr, die Exponate zu finden?
Maren: Normalerweise können wir ganz gezielt Institute anfragen, die zum Thema des jeweiligen Wissenschaftsjahres arbeiten. Dieses Jahr haben wir unsere Exponat-Abfrage zu den vier Themenfeldern sehr breit gestreut - und hatten recht viele Einreichungen. Unser Ziel bei der Auswahl war, wirklich die Breite der Wissenschaft darzustellen, von Naturwissenschaften bis zu Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften, und auch die unterschiedlichen Methoden zu nennen, die eingesetzt werden. Wichtig war uns, Exponate von Einrichtungen aufzunehmen, die interdisziplinär arbeiten. Wie das von AGYA, einem arabisch-deutschen Zusammenschluss zur Förderung junger Wissenschaftler*innen. Sein Exponat zum Teilchenbeschleuniger erklärt nicht nur, wie der funktioniert, sondern auch, wie zum Beispiel die Papyrusforschung von Teilchenbeschleunigern profitieren kann. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass zwei Disziplinen – in diesem Fall krasse Physik und Archäologie – zusammenkommen.
Citizen-Science-Exponate sind ein wichtiger Bestandteil der Ausstellung. Wie konntet ihr sie in die Ausstellung integrieren?
Maren: Uns war es wichtig zu zeigen, dass Citizen Science nicht ausschließlich naturwissenschaftliche Hintergründe hat, sondern auch geisteswissenschaftliche. Da haben wir, denke ich, eine gute Mischung hinbekommen: Flora incognita ist mit an Bord, eine App, mit der man Pflanzen bestimmen kann. Beim Mückenatlas sind die Bürger*innen aufgerufen, Mücken zu fangen und einzuschicken. Art und Verteilung der Mücken im Land ermöglichen Erkenntnisse über den Klimawandel oder darüber, welche durch Stechmücken übertragenen Krankheiten im Vormarsch sind. Das sind klassische naturwissenschaftliche Citizen-Science-Projekte. Aber wir haben auch das Projekt „GINGER - gemeinsam Gesellschaft erforschen“ an Bord. Da werden Bürger*innen ausgebildet, um selbst sozialwissenschaftliche Forschung zu betreiben. Sie werden in Interviewführung und Datenerhebung geschult und können im Kontext des Projektes, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, ihre eigenen Fragen entwickeln und erforschen.
Francesca: Auch das Exponat „Welcher Citizen-Science-Typ bist du?“ ist sehr ansprechend.
Maren: Das ist das Eingangs-Exponat in diesem Themenfeld. Für viele Leute ist Citizen Science sehr neu. Da ist es wichtig, dass sie erst einmal herausfinden, welche Projekte es gibt und was zu ihnen passt. Also: Mag ich gerne in der Natur sein - und beispielsweise Mücken fangen – oder bin ich lieber in Archiven unterwegs und versuche dort Daten zu erheben. Beim Exponat beschäftigt man sich mit solchen Fragen. Man bekommt Vorschläge für passende Projekte und den Hinweis auf die Plattform buergerschaffenwissen.de, die Citizen-Science-Projekte in Deutschland sammelt. In einem anderen Exponat – SAMPLE – geht es um Bodenbakterien. Bürger*innen bekommen Test-Kits um Bodenproben zu nehmen und einzusenden. Wir wurden zum Tourstart gut versorgt, aber die Kits sind schon fast alle weg. Das ist ein sehr niederschwelliges Angebot, aber trotzdem gewährt es Einblicke, wie Wissenschaft funktioniert und was mit den Daten passiert.
Wie sind die ersten Reaktionen der Besucher*innen auf die Ausstellung?
Maren: Das Feedback ist sehr positiv. Die Interdisziplinarität der Ausstellung kommt sehr gut an und wird auch immer wieder positiv bewertet. Was die Besucher*innen toll finden, ist die Partizipationsaktion in der von Francesca beschriebenen Medieninstallation. An einer Riesentastatur können Besucher*innen ihre Fragen für die Wissenschaft eingeben und für Fragen stimmen. Die Top Ten sind dann im Eingangsbereich zu sehen.
Welche Fragen brennen denn den Besucher*innen der MS Wissenschaft besonders unter den Nägeln?
Maren: Das ist ganz unterschiedlich. Es hängt zum Beispiel davon ab, ob man vormittags oder nachmittags an Bord ist. Vormittags sind viele Schüler*innen da. Je nach Alter stehen die Dinosaurier dann hoch im Kurs. Es gibt Fragen wie „Kann man Dinosaurier wieder zum Leben erwecken?“ oder „Waren Mammuts schlau?“ Es mischen sich aber auch sehr philosophische Fragen ein, wie „Sind wir allein im Weltall?“ oder „Wie lange hält uns die Welt noch aus?“ Viele Fragen gibt es auch zum Thema Nachhaltigkeit. Die Themen, zu denen gefragt wird, hängen auch vom Standort der MS Wissenschaft ab. Das Thema Corona zum Beispiel stand in Berlin viel weniger im Fokus als in Eberswalde.
Gibt es besonders gefragte Exponate?
Maren: Es gibt jedenfalls Exponate, die sehr zur Diskussion anregen. Etwa ein Exponat, bei dem man das Klimasystem beeinflussen kann. Man kann Vulkane ausbrechen oder Städte wachsen lassen oder Industrieunternehmen ansiedeln und dann beobachten, welche Auswirkungen das auf CO2-Bilanz und Temperatur auf der Erde hat. Viele hätten dort andere Auswirkungen erwartet, als sie im Exponat gezeigt werden. In Eberswalde wurde viel über unser Exponat zum Wolf diskutiert. Warum haben wir Angst vor dem Wolf? Wie steht die Bevölkerung dazu, dass heute die Wolfspopulation wieder wächst? Da sieht man den Unterschied zwischen Großstadt und ländlicher Region. Die Fragen von Bord werden wir übrigens auch in die Frage-Plattform des Wissenschaftsjahres einspeisen.
Wir haben jetzt über die Fragen der Besucher*innen der MS Wissenschaft gesprochen. Was ist eure Frage für die Wissenschaft?
Francesca: Wir als Ausstellungs-Team sind durch die Herangehensweise an das Thema auf ganz viele Fragen gestoßen, die mit dem Prozess und der Struktur wissenschaftlicher Arbeit zu tun haben. Einige sind: Wie öffnet sich die Wissenschaft für das Scheitern als kreativen Prozess? Wie kann das Wissenschaftssystem flexibilisiert und noch partizipativer und interdisziplinärer werden? Und was bedeutet eigentlich Interdisziplinarität für die Wissenschaft?
Maren: Ich habe keine Frage, die so wunderbar an die Ausstellung andockt. Aber ich will mich der Frage anschließen, die auch viele Besucher stellen: Wie ist nachhaltiges Wirtschaften möglich? Ich glaube das ist die Frage, die den meisten Leuten und auch mir unter den Nägeln brennt. Es ist absolut notwendig, sich damit zu befassen.