Über Rollen streiten: Das Museum als Begegnungsort

Die Session "Das Museum als demokratischer Begegnungsort" beim Forum Wissenschaftskommunikation 2024 beschäftigte sich damit, welche Rolle Museen für die Demokratiebildung spielen. Dabei ging es auch um die Fragen, wie Museen kritische Auseinandersetzung initiieren können und was Rollenspiele ihren Teilnehmer*innen abverlangen sollten, bevor eine Moderation eingreift.
von Simon Esser
Zur Partizipation erheben
Mit dabei ist Dr. Gabriele Zipf vom Berliner Futurium. Sie beschreibt, wie ihr Haus das anspruchsvolle Thema Demokratie aufgreift und zugänglich macht. Dies sei herausfordernd, da sich das Futurium ohnehin mit abstrakten Themen wie Zukünften befasse und keine klassischen Exponate, sondern Konzepte präsentiere. Das Thema Demokratie sei zunächst trocken und zudem ein riesiges Feld. Die Herausforderung bestehe darin, die essentiellen Botschaften auf kleinem Raum und verständlich zu vermitteln, insbesondere für Jugendliche und Kinder.
Um den Einstieg in das Thema zu erleichtern, entwickelte das Futurium einen Politikzyklus, der Besucher*innen die verschiedenen Stationen eines demokratischen Aushandlungsprozesses näherbringe, erklärt Zipf. In einem interaktiven und spielerischen Kontext könnten die Gäste erleben, wie in der Politik Themen gesetzt und verhandelt werden. Im Mittelpunkt stehe die Frage, welche Qualitäten es braucht, um eine Einigung zu erzielen – etwa die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen. Ein Highlight der Ausstellung sieht Zipf in einer interaktiven Skulptur, die umso bunter und lebendiger wird, je mehr Menschen sich an Abstimmungen in der Ausstellung beteiligen – das sei ein passendes Sinnbild für die aktive Teilnahme an demokratischen Prozessen. Das Format sei gemeinsam mit Politolog*innen, Politiker*innen und Medienkünstler*innen erarbeitet worden.
In einem weiteren Themenbereich beschäftige sich das Futurium mit globalen Herausforderungen und der Frage, wie Demokratien aktuelle Probleme besser lösen können als andere Systeme. Dafür arbeitete das Ausstellungshaus mit einer Comiczeichnerin zusammen, erzählt Zipf. Sie entwickelte gemeinsam mit dem Futurium Szenarien – vier Utopien und eine Dystopie –, die zeigen, wie Demokratien mit dem Klimawandel umgehen könnten. Diese Szenarien regten dazu an, über die Strukturen und Kompetenzen nachzudenken, die Demokratien brauchen, um solche Herausforderungen zu meistern.
Im Fortlauf der Ausstellung im Futurium werden Besucher*innen persönlich eingebunden, sagt Zipf. Wie stehen sie selbst zu demokratischer Teilhabe? Welche Möglichkeiten nutzen sie bereits? Und was müsste verbessert werden, um mehr Menschen in demokratische Prozesse einzubeziehen? Gemeinsam mit seinen Gästen untersuche das Futurium dabei unter anderem die Frage, warum viele demokratische Beteiligungsangebote nur von wenigen Menschen wahrgenommen würden.
Doch lässt sich auch messen, ob das Ganze erfolgreich ist? Ob Gäste durch den Besuch im Futurium also tatsächlich etwas über demokratische Partizipation lernen? Diese Fragen kommen aus dem Publikum. Zipf gibt zu bedenken, dass die Erfolgsmessung in einem offenen Museum eine besondere Herausforderung darstelle. Eine Lösung des Futuriums: Besucher*innen erhalten Armbänder, über die sie digitale Inhalte zu Exponaten abrufen können. Diese Armbänder erfassten anonymisiert Daten über die interaktive Beteiligung der Gäste. So zeigten sie, wie Angebote genutzt werden, ohne die Privatsphäre der Besucher*innen zu gefährden. Wertvoll sei auch der Kontakt zu Lehrkräften. Das Team des Museums könne im Anschluss an gemeinsame Veranstaltungen mit Lehrer*innen im Gespräch bleiben darüber, wie die Schüler*innen das Erlernte nutzen und weiterverfolgen.
Streiten üben
Jonas Klinkenberg vom Deutschen Hygiene-Museum stellte seine Arbeit mit Formaten zur Debattenkultur vor. Das Projekt kombiniere drei Ansätze: Wissensvermittlung, Diskussionsformate und eine theatral-immersive Komponente, die Klinkenberg verantwortet. Ziel dieser Komponente sei es, Debatte und Diskurs für die Teilnehmenden erlebbar zu machen.
Ein Format sei „Fake You”: In dem Spiel müssen Teilnehmende gemeinsam einen moralischen Kompass entwickeln. In Kleingruppen entscheiden sie, ob eine Lüge tolerierbar ist. Klinkenberg schildert, dass Teilnehmende zu Beginn des Spiels oft hohe Ideale anstreben – einen Konsens finden, alle zu Wort kommen lassen. Doch unter Zeitdruck eskalierten die Gespräche häufig, und es komme zu hitzigen Auseinandersetzungen. „Es gibt fast immer einen Tisch, an dem sich die Teilnehmenden anschreien und dann reflektieren müssen, was gerade passiert ist,“ so Klinkenberg. Ein weiteres Beispiel, von dem Klinkenberg erzählt, ist ein Rollenspiel, das in einem fiktionalen Zukunftskongress angesiedelt ist. Dabei diskutierten die Teilnehmenden über den Umgang mit genetischen Dispositionen. Um existierende Kontroversen zu umgehen, werde das Thema fiktional überhöht – etwa durch die stufenweise Einführung von Privilegien für bestimmte Gruppen. Dies rege Diskussionen darüber an, wie Entscheidungen getroffen werden und wer dazu überhaupt befugt ist, wobei persönlich Betroffene häufig von der Gestaltungsfreiheit ausgeschlossen blieben. Diese Formate vereinten Debattenkultur, Empathietraining und Perspektivwechsel in einem Edutainment-Ansatz, der Erlebnis und Spaß kombiniert, so Klinkenberg. Sie erreichten Zielgruppen, die sonst nicht ins Museum kämen. Damit Menschen an interaktiven Formaten und Rollenspielen teilnehmen, sei Vertrauen gegenüber den anderen Teilnehmer*innen wichtig: „Wenn ich denke, eine Person würde mich auch außerhalb der Rolle beleidigen, bin ich nicht bereit, mich einzulassen.“
Eine zentrale Frage ist für Klinkenberg der Umgang mit Kontrolle in diesen partizipativen Formaten. Er berichtet von der Herausforderung, toxische Dynamiken zu erkennen und zu moderieren: „In dem Moment, wo ich draußen sitze und eine Gruppe im Escape Room diskutiert und dann geht es los mit nicht mehr faktenbasierten Argumenten: Sitze ich das aus [oder] wann wäre der Punkt erreicht, dass ich da reingehe?” Inhaltliche Eingriffe erfolgten nur bei kritischen Falschinformationen: Im Feedback-Gespräch läge der Fokus darauf, gemeinsam mit den Teilnehmer*innen zu reflektieren, wie die Gruppe debattiert hat, erklärte Klinkenberg. Er gebe den Teilnehmer*innen Hinweise, wann eine Debatte gut verlief und wie sie verbessert werden kann.
Bisher seien die Formate alle in einem angemessenen Rahmen abgelaufen, sagt Klinkenberg. Dennoch sorge er sich, dass mit der Verschiebung des Sagbaren in öffentlichen Debatten auch die Arbeit mit partizipativen Formaten erschwert werde. „Was heißt es, Kontrolle abzugeben in einer Zeit, in der Werte umkämpft werden?“ Für die Moderation empfahl er, ein Protokoll zu entwickeln, das Verantwortlichkeiten und Lösungswege definiert. Im Team des Museums werde intensiv über „rote Linien” diskutiert, sagt Klinkenberg: „Das hängt letztlich auch alles mit Demokratie zusammen, daher ist es für uns auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema.”
Die Rollen des Museums reflektieren
Als weitere Referentin saß Sylvia Willkomm vom Deutschen Museumsbund e.V. auf dem Podium. Der Verband unterstützt Museen dabei, demokratiestärkende Formate zu entwickeln und Demokratie als Teil ihrer Rolle und Identität zu begreifen. Ein wichtiger Anlass für diese Auseinandersetzung sei die kommende Jahrestagung 2025 in der Kulturhauptstadt Chemnitz unter dem Titel „Museen stärken Demokratie“. Im Vorfeld würden die Werte diskutiert, die die Arbeit in Museen prägen – in Orientierung am Grundgesetz. Willkomm betonte, dass „das Selbstverständliche nicht mehr selbstverständlich“ sei und es deshalb wichtig sei, die Aufgaben und Werte der Museen klar schriftlich zu formulieren. Sie macht drei Säulen aus:
- Demokratie und Bildung: Museen seien Bildungsorte, die Menschen zu mündigen Bürger*innen machten. Sie vermittelten komplexe Zusammenhänge, böten Raum für Diskurse und trügen zur Prävention von Desinformation, Extremismus und Populismus bei.
- Toleranz und Verständigung: Museen förderten Verständigung, Vielfalt und Toleranz durch Offenheit, Multiperspektivität und Meinungsaustausch. Sie trügen dazu bei, Unterschiede zu überwinden und Gemeinsamkeiten zu finden.
- Verantwortung und Diskurs: Als Orte der Geschichte und Innovation übernähmen Museen Verantwortung für Objekte, Geschichten und Erinnerungen. Sie verbänden diese mit gesellschaftlichen Debatten und eröffneten neue Perspektiven, handelten dabei unabhängig, sensibel und nachhaltig.
Ein zentraler Aspekt der Tagung werde die Frage sein, wie sich Museen in ihrem Rollenverständnis positionieren und mit politischer Einflussnahme umgehen. Willkomm skizzierte die Diskussionen, die zu diesem Thema geführt werden: Was gilt als legitime Steuerung öffentlicher Einrichtungen, und wo beginnt unzulässige politische Einflussnahme? Welche Erfahrungen gibt es in anderen Ländern, etwa in Polen, wo Museumsdirektor*innen aufgrund politischer Meinungen abgesetzt wurden? Welche Partner*innen und Beratungsstellen können Museen unterstützen? Die Ausstellungshäuser müssten ihre Rechte kennen, um gegen demokratiefeindliche Einflüsse, sei es durch Besuchende oder auch durch Mitarbeitende, vorgehen zu können. In der Debatte müsse etwa mehr über Artikel 5 des Grundgesetzes und die Frage, wie Museen darin verortet sind, gesprochen werden.
Grundsätzlich genießen Museen ein hohes Vertrauen in der Gesellschaft, erklärt Willkomm. In einer Umfrage des Instituts für Museumsforschung zum Thema Vertrauen landeten sie auf Platz zwei, hinter Freund*innen und Familien. Als Plattformen, denen die Menschen vertrauen, müssten die Museen zugleich kritisch sein und Debatten initiieren, um ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Willkomm warnt davor, als Reaktion auf rechte Kritik oder Angriffe in eine Art Selbstzensur zu verfallen. Sie kritisierte Strategien, die darauf abzielen, „nicht zu sehr aufzufallen, nicht kontrovers zu sein und gefälliger zu werden“. Solche Ansätze widersprächen dem Anspruch von Museen als Orte der Vielfalt und Auseinandersetzung.