Programm-Spotlight FWK22: „Der Ozean lehrt mich Demut“
Welche Rolle spielt Wissenschaftskommunikation für eine Gesellschaft im Wandel? Darum geht es beim Forum Wissenschaftskommunikation 2022 unter dem Motto „Transformation gestalten“. Renate Duckat ist Wissenschaftsjournalistin und Projektmanagerin bei Projektträger Jülich/Forschungszentrum Jülich. Im Interview erzählt sie, warum für sie beim Meeresschutz gute Geschichten wichtig sind und wie eine konstruktive Kommunikation gelingt.
von Alena Weil
Frau Duckat, warum soll der Ozean in die Gesellschaft kommen, wie es im Titel Ihrer Session heißt?
Das Meer ist das größte Ökosystem der Erde, 70 Prozent der Erde sind vom Meer bedeckt. Das Meer ist eine Klimamaschine, seine Strömungen bestimmen unser Wetter. Und das Meer ist ein Ort großer, in weiten Teilen noch immer unbekannter Artenvielfalt, mit vielgestaltigen Küstengebieten, einzigartigen Korallenriffen und der nahezu unerforschten Tiefsee.
Unsere Ozeane stehen jedoch vor großen Herausforderungen. Sie sind einer Vielzahl an Stressfaktoren ausgesetzt. Und diesen Stress bereiten wir Menschen den. So belasten wir unsere Weltmeere beispielsweise durch Schadstoffeinträge aus der Landwirtschaft und aus den Abwässern. Wir tragen durch die Schifffahrt und die Offshore-Industrie Lärm und Licht in die sonst dunklen und leisen Gebiete ein. Wir entnehmen dem Meeresboden die natürlichen Ressourcen wie Öl oder Gas als Energieträger oder fischen seinen Artenreichtum für unsere Nahrungssicherung leer. Nicht zu vergessen: Wir nutzen den Ozean als natürliche Senke im globalen Klimawandel, denn er speichert das klimarelevante Kohlendioxid und die Wärme der gestiegenen globalen Durchschnittstemperatur.
Die Folge: Das Meer wird saurer, wärmer und artenärmer. Was das für uns bedeutet? Drei Beispiele: Erstens – Korallenbleiche: Sensible Ökosysteme sind durch den vermehrten CO2- und Wärme-Eintrag durch die gestiegene globale Temperatur bedroht. Die Artenvielfalt leidet. Zweitens – Meeresspiegelanstieg: Durch die steigende Wärmezufuhr und das Abschmelzen der polaren Eisgebiete sind schon jetzt Inseln und Küstenregionen betroffen. Drittens – Nahrungsunsicherheit: Durch Überfischung ist die Ernährungssicherheit insbesondere der Menschen in Entwicklungsländern und auf den kleinen Inseln unmittelbar bedroht. Kurzum: Wir nutzen das Meer auf vielfältigste Weise – und schaden ihm derzeit mit kaum vorhersehbaren Folgen.
Damit wir den Ozean besser schützen können, müssen wir seine Bedeutung für unser tägliches Leben deutlicher machen. Das Meer ist Lebensgrundlage, Handelsroute, Energiequelle und Rohstoffquelle. Und es ist natürlich auch ein Ort menschlicher Kulturen – Heimat und Zufluchtsort seit Generationen. Das alles ist uns im Alltag oft nicht klar.
Das Meer ist für viele Menschen ein Sehnsuchtsort. Ein Ort, an dem wir gerne unseren Urlaub verbringen. Warum sind uns die Probleme des Ozeans dennoch nicht bewusst?
Ganz einfach: Weil man es ihm von außen nicht ansieht. Sicherlich gibt es auch Gegenbeispiele, etwa die Vermüllung der Meere: Von riesigen Plastikstrudeln, die im Nordpazifik treiben, bis hin zu kleinsten Plastikteilchen, die wir mittlerweile in vielen Meeresbewohnern und sogar in der Tiefsee und der Arktis finden. Doch die größeren Bedrohungen für den Ozean – die Erwärmung, die Versauerung und die rasant abnehmende Artenvielfalt – sind für uns schwierig zu erfassen.
Und, um nochmal auf das Thema Tourismus zurückzukommen, natürlich möchte kein Mensch im Urlaub am Strand stehen und sich überlegen: Da schwimmt Plastikmüll, der von hier aus ins Meer eingetragen wird, und meine Sonnencreme enthält womöglich Gifte die den Lebewesen schaden. Andererseits kann die Romantisierung des Meeres auch helfen, Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Die Faszination, die Bilder, die Vielfalt – das ist eine große Kraft, die der Ozean uns schenkt. Das können wir nutzen, um Geschichten zu erzählen, die die Menschen berühren.
Das Meer bietet uns also durchaus viele Möglichkeiten für die Wissenschaftskommunikation. Welche Herausforderungen gibt es andererseits bei der Kommunikation zum Thema Meeresforschung?
Die größten Herausforderungen sind sicherlich die Komplexität der Prozesse im Ozean, auch im Austausch mit der Atmosphäre, die zeitlichen Skalen, und seine unendlichen Weiten und Tiefen: Die Veränderungen sind selten sofort sicht- und messbar. Das gilt auch für Maßnahmen, die wir ergreifen, etwa um die Vermüllung einzudämmen, oder wenn wir gerade weltweit die Zahl und Ausdehnung der Meeresschutzgebiete erhöhen. Beispiele aus der Vergangenheit zeigen: Die Natur hat eine große Widerstands- und Regenerationsfähigkeit, sie kann sich wieder erholen, wenn wir die richtigen Maßnahmen in die Wege leiten. Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen.
Wichtig ist aus meiner Sicht deshalb, dass die Wissenschaft Entwicklungsszenarien und darauf aufbauend Handlungsoptionen kommuniziert. Es sollte klar werden: Das Meer beginnt hier, vor jeder Haustür, wir alle nutzen das Meer – und entsprechend können wir alle das Meer schützen. Das sollten wir in der Wissenschaftskommunikation deutlich machen. Indem wir die Bedrohung nicht fatalistisch zeichnen, sondern eine eher motivierende Perspektive einnehmen.
Das heißt, Sie plädieren für eine konstruktive Kommunikation?
Richtig. Aber nicht, um zu verharmlosen. Die Dringlichkeit muss trotzdem klar werden. Ich bin dabei eine große Freundin von Emotionen. Wenn mich etwas berührt, begeistert oder betroffen macht, dann habe ich eine persönliche Motivation. Natürlich kann ich viel Betroffenheit schaffen, oder sogar Frustration, indem ich nur vom Negativen berichte. Ich kann aber auch berühren, indem ich sage: Das Meer ist ein beeindruckender Lebensraum. Hier kommt Dein Sushi her, hier wird Deine Energie produziert, hier fahren die Forschungsschiffe, mit denen wir den Ozean für Dich entdecken und verstehen.
Ein gutes Beispiel ist die MOSAiC-Expedition. Auf einem Forschungsschiff sind Wissenschaftler*innen ein Jahr lang eingefroren durch das Nordpolarmeer gedriftet, um das Klimasystem der Arktis zu erforschen. Das sind Geschichten, die uns faszinieren. Ein anderes schönes Beispiel sind die „Plastikpiraten“, ein Projekt im Wissenschaftsjahr 2016*17 – Meere und Ozean. Schüler*innen haben Plastikmüll an Flüssen und Stränden gesammelt und an die Kieler Forschungswerkstatt geschickt. Ziel war es, zu untersuchen, wie viel Plastikmüll in die Meere eingetragen wird – und die Schüler*innen in diese Forschung einzubinden.
Um ein Bewusstsein für die Probleme des Ozeans zu schaffen und die Forschung voranzubringen, haben die Vereinten Nationen die Jahre 2021 bis 2030 zur Ozeandekade erklärt. Zum Start der Dekade fand eine digitale Eventreihe statt, die Sie als Projektträger Jülich mitorganisiert haben. Was war das Besondere an diesen sogenannten „Ocean Decade Laboratories“?
Die UNESCO hat Deutschland zum Start der Ozeandekade damit beauftragt, eine Eröffnungskonferenz durchzuführen. Aufgrund der Pandemie mussten wir auf ein digitales Format umsteigen – weiterhin mit der Idee, die Welt zusammenzubringen. Um die Themenvielfalt der Ozeandekade herauszustellen, haben wir das Konzept der „Ocean Decade Laboratories“ entworfen: Sieben digitale Konferenzen, die jeweils eines der sieben Ziele der Dekade aufgreifen. Begleitet wurden die „Labs“ jeweils von einem internationalen Aufruf, zu dem sich Forschende und marine Stakeholder weltweit mit sogenannten „Satellite Activities“ einbringen konnten. So wollten wir Menschen auf der ganzen Welt für die Dekade begeistern, engagieren und miteinander vernetzen.
Dabei haben wir zwei Ansätze verfolgt: Die Multi-Stakeholder-Perspektive und der „leaving no one behind“-Ansatz. Das heißt zum einen, dass wir nicht nur die Forschung, sondern auch die Gesellschaft eingebunden haben, NGOs, die indigene Bevölkerung, die Industrie und die Kunst. Zum anderen haben wir international gearbeitet. So haben sich an den Veranstaltungen etwa eine Fischerin aus Südafrika, eine Marinekapitänin aus dem Südpazifik, indigene Stammesführer, aber auch der Präsident der Seychellen oder Fürst Albert von Monaco beteiligt. Insgesamt haben wir Menschen aus über 140 Ländern eingebunden.
Von den Zielen, Erfahrungen und Erkenntnissen dieser Veranstaltungsreihe möchten Sie in Ihrer Session beim Forum erzählen. Was erwartet die Teilnehmenden noch?
In unserer Session sprechen drei Expert*innen, die alle unterschiedliche Perspektiven auf die Meeresforschung mitbringen: Burkard Baschek, Wissenschaftlicher Direktor des deutschen Meeresmuseums in Stralsund, Tim Jennerjahn, Arbeitsgruppenleiter am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung und Marie Heidenreich, seinerzeit Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich. Die drei werden aus ihrem Arbeitsalltag berichten. Und wir möchten die Teilnehmer*innen auch noch einmal mitnehmen in die Laboratories und über die Ozeandekade sprechen. Auch um zu zeigen, wie faszinierend und alltagsnah das Thema ist. Gemeinsam mit dem Publikum möchten wir auch die lessons-learned insbesondere virtueller Formate diskutieren – und schließlich, wie Wissenschaftskommunikation neue Erkenntnisse der Forschung für Politik und Gesellschaft wirksam transportieren kann.
Was fasziniert Sie ganz persönlich am Ozean?
Faszinierend ist der Ozean vor allem durch seine Weite. Jede*r, der schon einmal am Strand gestanden hat, schaut hinaus und hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Fragen, die er in irgendeiner Form mit dem Ozean besprechen kann.
Und persönlich kann ich sagen: Der Ozean lehrt mich Demut. Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Menschheit der treibende Faktor der Veränderung auf der Erde ist. Aber das Leben auf der Erde hat im Ozean begonnen. Wir alle stammen sozusagen aus dem Ozean. Wir sind alle miteinander verbunden. Diese Bilder mit anderen zu teilen, das motiviert mich.
Session: UN-Ozeandekade: Wie kommt der Ozean in die Gesellschaft? – Session – Moderation: Renate Duckat, Projektträger Jülich. 75 Minuten. Mittwoch, 5. Oktober 2022, 9 – 10.15 Uhr.