Zu einer Praxis guter KI-gestützter Wissenschaftskommunikation
Im Panel „Next Steps – wie sieht eine Praxis guter KI-gestützter Wisskomm aus?“ beim Forum Wissenschaftskommunikation 2025 wurden die Rahmenbedingungen für einen reflektierten Einsatz von KI erörtert. Dabei wurde auch ihre produktive Einbettung in den Arbeitsalltag thematisiert.
von Simon Esser
Generative KI ist längst Teil der wissenschaftskommunikativen Praxis. Doch wie lässt sie sich verantwortungsbewusst, qualitätssteigernd und zugleich produktiv einsetzen? Diese Leitfrage stand im Mittelpunkt des Panels „Next Steps – wie sieht eine Praxis guter KI-gestützter Wisskomm aus?“ unter Moderation von Matthias Begenat (CAIS). Auf dem Podium diskutierten Liliann Fischer (Wissenschaft im Dialog), Jens Rehländer (VolkswagenStiftung), Dr. Justus Henke (Institut für Hochschulforschung, MLU Halle-Wittenberg) und Sandra Gundlach (Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt).
Die Diskussion knüpfte unter anderem an die im Frühjahr 2025 veröffentlichten Handlungsempfehlungen der Taskforce „KI in der Wissenschaftskommunikation“ der #FactoryWisskomm an sowie an die „WiD-Perspektiven: Wissenschaftskommunikation mit generativer KI: Perspektiven für Einsatz und Governance“ von Wissenschaft im Dialog. Im Zentrum stand nun die Umsetzung: Welche Rahmenbedingungen braucht es für einen reflektierten Einsatz generativer KI in der Wisskomm? Wie bleibt Wissenschaftskommunikation trotz und mit KI demokratisch relevant und vertrauenswürdig? Und wer kann welchen Beitrag leisten, um Vertrauen in Wissenschaftskommunikation als verlässliche Informationsquelle zu sichern?
Rollenwandel und Unsicherheit: Zwischen Abbau und Aufwertung der Wisskomm
Liliann Fischer eröffnete die Diskussion mit einem Blick auf mögliche Zukunftsbilder für das Berufsfeld. Zwei Szenarien seien denkbar: Entweder verschwinden Wissenschaftskommunikator*innen als Berufsfeld, weil KI zentrale Aufgaben übernimmt – oder KI hält ihnen den Rücken frei, sodass sie sich stärker auf strategische, dialogische und kuratorische Aufgaben konzentrieren können. Realistisch sei jedoch ein Weg „irgendwo dazwischen“.
Jens Rehländer ordnete diese Entwicklung gesellschaftlich ein: Es gehe um den drohenden Verlust epistemischer Autorität – also der gesellschaftlichen Anerkennung wissenschaftlicher Expertise als verlässliche Wissensquelle. Die KI-Dynamik verschärfe aktuelle Herausforderungen, die Wissenschaft, Journalismus und Politik gleichermaßen betreffen. Gleichzeitig sei das Feld von Unsicherheit und „Wildwuchs“ geprägt. Die hohen Einschaltquoten in KI-bezogenen Webtalks der VolkswagenStiftung deuteten auf ein starkes Bedürfnis nach Orientierung hin – teils in der Erwartung einer schnellen, einfachen Lösung, fast wie auf einen „Messias“.
Aktueller Stand: KI ist etabliert, aber vor allem instrumentell genutzt
Justus Henke stellte erste Ergebnisse aus der gerade abgeschlossenen dritten Befragungswelle zu KI Nutzung unter Hochschulkommunikator*innen vor. Die Daten zeigen klar: KI ist aus der Praxis der Pressestellen nicht mehr wegzudenken. 84 Prozent der befragten Hochschulkommunikationsabteilungen nutzten generative KI mittlerweile regelmäßig; vor zwei Jahren habe dieser Anteil noch bei etwa einem Drittel gelegen. Die Zufriedenheit mit den Tools sei über die Zeit gestiegen, aber noch nicht euphorisch.
Charakteristisch sei jedoch die Art der Nutzung. KI werde derzeit überwiegend instrumentell eingesetzt, vor allem für:
- Feintuning von Stil, Tonalität und Textqualität
- Übersetzungen und Überarbeitungen
- erste Entwürfe, Skizzen und Ideengenerierung
Strategische Anwendungen – etwa Zielgruppenanalysen, Persona-Entwicklung oder Wirkungsanalysen – seien deutlich seltener, sagt Justus Henke. Das verweise auf ungenutzte Potenziale, aber auch auf fehlende Kompetenzen, Prozesse und Strukturen.
Ein zentraler Hemmschuh bleibe die Sorge um Faktentreue. Viele nutzten KI daher informell: 69 Prozent berichten in der Befragung von inoffizieller Nutzung ohne klare institutionelle Regelung.
Orientierung zwischen Prinzipien und Praxis: Der „Zwischenraum“ wird entscheidend
Liliann Fischer ordnete die Vielfalt bestehender Leitlinien ein. Sie beobachtet zwei dominante Typen von Orientierungshilfen:
- Abstrakte Prinzipien (z. B. zu Transparenz, Ethik, Wahrhaftigkeit), über die sich viele Akteure verständigen können.
- Sehr konkrete Tool- und Anwendungsleitfäden für einzelne Arbeitsprozesse oder Tools innerhalb von Organisationen.
Beides sei wichtig, aber nicht ausreichend. Die eigentliche Herausforderung liege im „Zwischenbereich“: also in Regeln, die nah genug an der Praxis sind, um wirklich handlungsleitend zu wirken, ohne Innovation durch Kleinteiligkeit oder Überregulierung zu blockieren. Genau diese Regeln müssten systematisch entwickelt werden – etwa in Dialogformaten und Workshops, die abstrakte Leitbilder in praxistaugliche Routinen übersetzen.
Fischer forderte außerdem, die Perspektive der Öffentlichkeit stärker in Leitlinien zu berücksichtigen. Es brauche Forschung darüber, wie die Bevölkerung mit KI in der Wissenschaft interagieren möchte und welche Erwartungen sie an KI-gestützte Wissenschaftskommunikation hat.
Politische Perspektive: KI als Schlüsseltechnologie – und Wisskomm als demokratischer Transferakteur
Sandra Gundlach unterstrich, dass KI ein strategisches Top-Thema der Bundespolitik sei, verankert in der Hightech-Agenda. In ihrer neuen Rolle blicke sie bewusst mit „frischem Blick“ auf das Feld. Sie wolle kritisch hinterfragen und bestehende Routinen weiterentwickeln.
Das BMFTR sehe sich in erster Linie als Enabler: Infrastruktur stärken, Transfer ermöglichen, Akteure vernetzen. Für die Wissenschaftskommunikation leitet sie daraus zwei Konsequenzen ab:
- KI-Verweigerung ist unmöglich. Die Tools sind da, werden genutzt und verändern bereits Arbeitsroutinen.
- Es braucht einen nationalen Ansatz, um Desinformation und Informationsüberflutung wirksam zu adressieren.
Wisskomm werde dabei als „Dolmetscher“ für den Transfer wissenschaftlichen Wissens in gesellschaftliche Debatten verstanden. Damit dies gelingt, brauche es eine Roadmap über Infrastruktur, Tools und Kompetenzen. Bedarfsanalysen und Erhebungen zu zentralen „Schmerzpunkten“ seien notwendig, um handlungsfähig zu werden – auch wenn föderale Strukturen dadurch nicht aufgehoben werden. Gundlach sprach sich jedoch dagegen aus, dass einzelne Akteur*innen immer neue Daten sammeln. Sie sieht vielmehr Synergien darin, bestehende Erhebungen bekannter zu machen und zusammenzuführen.
Orientierung ja, Überregulierung nein
Jens Rehländer bestätigte den Eindruck eines Feldes im Umbruch. Orientierungsbedarf und Unsicherheit seien groß, zugleich warnte er vor Überregulierung: Zu frühe oder überdichte Regeln könnten die Entwicklung hemmen, bevor das Potenzial überhaupt erprobt ist. Er verwies auf die Einstieg in Social Media seitens der Wissenschaft, die sich über Jahre „eingeschlichen" habe, weil Leitungsebenen gezögert hätten. Bei KI sei zwar die Bereitschaft höher, mitzugehen – doch oft fehle es weiterhin an systematischem Ausprobieren und institutioneller Priorisierung.
Rehländer betonte das Qualitäts- und Effizienzpotenzial generativer KI: als Sparringspartner für Konzeption, Themenfindung und Planung sowie als Beschleuniger redaktioneller Prozesse. Dieses Potenzial sei gegenwärtig noch nicht annähernd ausgeschöpft.
Stimmen aus dem Publikum: Infrastruktur, Budget und gemeinsame Lösungen
Aus dem Plenum wurden zentrale Praxisbedarfe genannt:
- Wunsch nach datenschutzkonformen, leistungsfähigen KI-Systemen in Hochschulen, idealerweise als eigene LLM-Lösungen.
- Notwendigkeit von Budget und Genehmigung durch die Leitungen, um solche Systeme in geschützten Räumen mit eigenen Daten zu betreiben.
- Sorge, dass langsame Governance-Prozesse zu einem Wettbewerbsnachteil führen („Wissenschaft als Lastenrad vs. Freie Wirtschaft als Porsche“).
- Appell, bereits existierende interne KI-Prototypen zu bündeln und gemeinsam nutzbar zu machen – statt paralleler Insellösungen.
Jetzt erproben – und gleichzeitig Strukturen bauen
Die Praxis ist der Governance voraus. KI wird genutzt, noch bevor klare Regeln und Infrastrukturen flächendeckend stehen. Daraus folgt ein doppeltes Ziel:
- Kurzfristig handlungsfähig bleiben: durch Erproben, Lernen, Austausch und praxistaugliche Orientierung im „Zwischenraum“.
- Langfristig Vertrauen sichern: durch robuste, kooperative Strukturen für Qualität, Transparenz, Infrastruktur und Kompetenzaufbau.