„Ich bin Fan einer nüchternen Herangehensweise“

© Klaus Heymach
16. Dezember 2025

1800 Fachleute aus Wissenschaft und Praxis finden sich in der Datenbank des Mediendienst Integration. Cordula Eubel hat die Serviceplattform beim Forum Wissenschaftskommunikation 2025 vorgestellt. Im Interview erklärt sie, wie die Arbeit an der Schnittstelle von Journalismus und Wissenschaft gelingt und welche kommunikative Strategie sie Forschenden bei emotional aufgeladenen Themen rund um Migration empfiehlt.

von Hanna Strub

Die Hälfte der Menschen in Deutschland erachtet es laut Wissenschaftsbarometer 2025 für sinnvoll, dass zum Thema Migration geforscht wird. Allerdings ist lediglich gut ein Drittel der Meinung, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zu diesem Thema eine wichtige Grundlage für politische oder gesellschaftliche Entscheidungen spielen sollten. Wie ordnen Sie diese Ergebnisse ein?

Hier kann ich ehrlich gesagt eher eine Hypothese beisteuern als eine gut abgesicherte Schlussfolgerung. Migration wird in der Gesellschaft als spaltendes Thema wahrgenommen. Zuletzt hat das Ihr Wissenschaftsbarometer, aber auch das Polarisierungsbarometer des MIDEM-Instituts gezeigt. Wobei interessanterweise die angenommene Spaltung höher ist, als es die Unterschiede bei manchen Positionen sind. Das könnte teilweise die Lücke erklären. Und zeigen, wie wichtig eine kontinuierliche Vermittlung zwischen den Sphären ist.

Wie arbeitet der Mediendienst Integration und welche Ziele verfolgen sie?

Der Mediendienst ist Informationsplattform und Rechercheservice zu Migrationsthemen an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Wissenschaft. Unser Anliegen ist, Journalist*innen in einem komplexen Themenfeld schnell und fundiert zu unterstützen. Wir wollen zu einer fakten- und wissenschaftsbasierten Berichterstattung beitragen. Auf unserer Webseite fasst unsere Redaktion Zahlen, Fakten und neue Studien kompakt und verständlich zusammen. Das reicht von Themen wie Migration und Flucht über Integration bis hin zu Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung. Durch eigene Recherchen oder in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen möchten wir Informationslücken schließen.

Wir vermitteln Expert*innen für die Berichterstattung aus unserer Datenbank mit mehr als 1.800 Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis. Wir organisieren auch Pressegespräche, Hintergrundgespräche und Veranstaltungen. Gerade bei einem emotional aufgeladenen Themenbereich ist es wichtig, eine Datenbasis als Ausgangspunkt für Debatten und Auseinandersetzungen zu liefern. Dabei sind uns Transparenz und Nachvollziehbarkeit wichtig. Wir verlinken auf Originalquellen, damit diejenigen, die zum Beispiel Statistiken nutzen, die Zahlen nachvollziehen und tiefer eintauchen können. Wir sind in erster Linie ein Informationsdienst für Journalist*innen, doch auch viele andere lesen unsere Webseite oder unseren Newsletter.

Cordula Eubel auf dem Forum Wissenschaftskommunikation 2025
Cordula Eubel auf dem Forum Wissenschaftskommunikation 2025 | © Katja Demirci

„Wir haben Expertise aufgebaut, Debatten zu antizipieren"

Wie gehen Sie mit der Erwartungshaltung um, schnell und pointiert liefern zu müssen, obwohl wissenschaftliche Ergebnisse Zeit und Einordnung brauchen?

Seit der Gründung des Mediendienstes 2012 haben wir Expertise aufgebaut, Debatten zu antizipieren. In unserer Datenbank erfassen wir präzise, wer zu welchen Themen forscht. So können wir bei tagesaktuellen Debatten schnell auf Anfragen reagieren. Unser Team besteht sowohl aus Menschen mit einem journalistischen Hintergrund als auch Menschen mit einer stärker wissenschaftlichen Prägung. Wir bringen deshalb einen Blick auf beide Welten mit ihren unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Logiken mit. Wir versuchen, zum gegenseitigen Verständnis beizutragen: Bei Wissenschaftler*innen werben wir dafür, dass sie ihre Erkenntnisse verständlich kommunizieren, um medial oder in der öffentlichen Debatte Gehör zu finden. Gegenüber Journalist*innen versuchen wir, Verständnis für die Komplexität von Sachverhalten zu schaffen. Man kann auch erfolgreich zwischen diesen beiden Welten agieren und die Geschwindigkeiten zusammenbringen.

Wie zum Beispiel?

2023 wurde intensiv über Unterbringung von Geflüchteten diskutiert. Es gab Berichte aus einzelnen Kommunen, die mit Fotos aus überfüllten Notunterkünften und Turnhallen bebildert waren. Wir haben schnell gemerkt, dass eine verlässliche Datenbasis zur Unterbringung in den Kommunen in der Fläche jedoch fehlt. Daraufhin haben wir mit Wissenschaftler*innen der Universität Hildesheim eine Kommunenbefragung gestartet. Diese hat einen differenzierten Einblick über die Lage vor Ort und die Unterbringungsformen ermöglicht. Wir bleiben kontinuierlich dran: Vergangenen Monat haben wir die dritte Kommunenbefragung dieser Art vorgelegt und das Interesse an diesen Daten ist groß. Für uns ist das ein Beispiel, wie man eine für Medien relevante Frage in einem überschaubaren Zeitraum mit wissenschaftlich fundierter Methodik und Einordnung zusammenbringen kann.

„Die Anfragen von Journalist*innen sind komplexer geworden"

Zu welchen Themenaspekten von Migration sind Einordnungen von Wissenschaftler*innen besonders gefragt?

Anfragen erreichen uns über die ganze Themenbreite, von Arbeitskräftezuwanderung bis zu Abschiebungen. Oft werden kurzfristig Einordnungen zu aktuellen politischen und medialen Debatten gesucht. Journalist*innen wenden sich aber auch jenseits der Tagesaktualität an uns, mit spezifischen Anfragen, etwa zu ausländischen Pflegekräften oder zu mehrsprachigem Unterricht an Schulen. Wir beobachten über die Jahre, dass die Anfragen komplexer geworden sind. Es gibt eine zunehmende Expertise in den Redaktionen, das Wissen zu Themen der Einwanderungsgesellschaft ist gestiegen.

Mein Eindruck ist, dass wissenschaftliche Expertise besonders dann gesucht wird, wenn das Thema neu oder unterbeleuchtet ist. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gab es sehr viele Fragen dazu, was wir über Ukrainer*innen, die nach Deutschland kommen, wissen. Wir haben damals sehr schnell eine umfassende Datenübersicht aufgelegt und aktualisieren diese regelmäßig. Einordnungen sind aber auch dann gefragt, wenn eine Datenlage komplex oder unübersichtlich ist. Zum Beispiel dazu, wie und warum sich Fluchtrouten ändern. Manchmal bekommen wir auch Anfragen nach Einordnung durch Expert*innen, wenn Thesen oder pauschale Behauptungen im Raum stehen.

Welche Annahmen rund um Migration sind im öffentlichen Diskurs weit verbreitet, obwohl sie von wissenschaftlichen Daten nicht gestützt werden?

Es gibt manche Debatten, die wiederkehren – etwa über Sozialleistungen als Pull-Faktor. Zugespitzt ausgedrückt lautet die Annahme: Sozialleistungen sind ein Anreiz für Migration. Wenn man diese senkt, kommen weniger Menschen nach Deutschland. Die meisten Studien finden dazu keine oder nur begrenzte Belege. Migration ist laut Forschung ein komplexer Prozess, der von vielen Faktoren bestimmt wird. Wohin jemand geht, hängt zum Beispiel von persönlichen Netzwerken ab, von Bildungschancen, der Größe und Wirtschaftskraft eines Landes, von politischer Stabilität oder der Überzeugung, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit im Zielland beachtet werden. Migration allein auf einen Faktor zu reduzieren, wäre verkürzt, kommt aber in Debatten immer wieder vor.

Was sollten Pressestellen oder Forschende berücksichtigen, wenn sie zu Migration kommunizieren?

Ich bin Fan einer nüchternen Herangehensweise. Ich halte das für eine gute Strategie für ein Themenfeld, das von emotionaler Aufladung geprägt ist. Wichtig ist, erst einmal eine Datenbasis zu liefern. Ich finde auch wichtig, dass man deutlich macht, was sicher ist, was plausibel ist und wo es vielleicht nur Vermutungen gibt. Ich habe außerdem den Eindruck, dass es in dem Themenfeld gut funktionieren kann, Themen herunterzubrechen. Integration findet vor Ort statt. Wenn man sich anschaut, was auf lokaler Ebene Herausforderungen und Chancen sind, wird die Diskussion schnell sehr handfest und weniger ideologisch. Man kann dann auch über Differenzen sprechen.