„Gute Wissenschaftskommunikation feiert die Fakten in ihrer Komplexität, Relevanz und Vielseitigkeit”
Wie funktioniert gute Wissenschaftskommunikation in einer Krise der Faktizität? Dieser Frage widmete sich David Kaldewey in seiner Keynote beim Forum Wissenschaftskommunikation 2024.
Von Hanna Strub
Klimawandel, Pandemie, Kriege – David Kaldewey, Professor für Wissenschaftsforschung an der Universität Bonn, beginnt seinen Vortrag mit einer Liste der Großprobleme, der „Grand Challenges”, unserer Zeit. Neben diesen seien wir auch mit einer Krise der Faktizität konfrontiert. Handelt es sich hierbei tatsächlich um eine eigenständige Krise oder vielmehr um ein „intersektionales Problem”, das alle anderen Probleme beeinflusst? Kaldewey argumentiert, dass Phänomene wie „postfaktische Politik, Wissenschaftsskepsis und Desinformationen” jedes der Großprobleme noch komplizierter machten. Daher bezeichnet er die Krise der Faktizität als eine „querliegende Metakrise”. Die zentrale Frage seiner Keynote lautet: Wie sieht „gute” Wissenschaftskommunikation, die zur Lösung der Großprobleme beitragen kann, in Zeiten einer solchen Krise der Faktizität aus?
„Schlechte Kommunikation kann die Krise der Faktizität anfachen”
Die Ausgangslage beschreibt Kaldewey wie folgt: Die Gesellschaft sei auf die Wissenschaft angewiesen, um die komplexen Probleme zu verstehen und zu lösen. Wissenschaftskommunikation könne eine Rolle bei der Lösung gesellschaftlicher Großprobleme spielen, doch Phänomene wie Desinformation untergraben diese Funktion. Unter diesen Annahmen liege daher folgendes Bild nahe: Die Wisskomm-Community trage mit ihrer Arbeit dazu bei, die genannten Herausforderungen zu bearbeiten. Denn: Sie kommuniziere Wissenschaft, und diese Wissenschaft brauche es, um gesellschaftliche Großprobleme zu lösen. Und indem sie Wissenschaft kommuniziere, wirke sie zugleich Desinformation entgegen. Für Kaldewey ist dieses Bild angesichts der Komplexität der Gesamtsituation jedoch unzureichend. Als Reaktion auf die Krise der Faktizität reiche es nicht aus, lediglich immer mehr zu kommunizieren, so Kaldewey. Stattdessen müsse in der Kommunikation die vielschichtige Krise der Faktizität berücksichtigt und bearbeitet werden. Denn „schlechte Wissenschaftskommunikation könnte die Krise der Faktizität anfachen, statt sie einzudämmen”, so Kaldewey. Daher erlaube er sich, explizit auch über „schlechte” Wissenschaftskommunikation zu sprechen.
„Die Realität der Fakten ist nicht binär”
Um zu wissen, wie „gute” Wissenschaftskommunikation aussehen kann, müssten wir zunächst verstehen, was „schlechte” Kommunikation auszeichne, so Kaldeweys Ansatz. Er hinterfragt etablierte Begriffe und populäre Redeweisen, die in Krisenzeiten schnell Eingang in Debatten und auch in die Wissenschaftskommunikation finden. So kritisiert er den Begriff der „Wissenschaftsleugnung”. Solche „Kampfbegriffe” seien zu vereinfachend und Ihnen liege ein polarisierendes „Freund-Feind-Denken” zugrunde. Von „alternativen Fakten” zu sprechen, sei ebenfalls problematisch, denn: „Die Realität der Fakten ist nicht binär”, so Kaldewey.
Stattdessen schlägt Kaldewey vor, von „Halbwahrheiten“ zu sprechen. Verschwörungstheorien etwa hätten oft einen wahren Kern, um den herum aber Falschaussagen formuliert würden. „Wir sprechen hier von Mischungsverhältnissen von mehr oder weniger korrekten Aussagen.” Auch ein Begriff wie „Infodemie” solle nicht unkritisch übernommen werden. Es sei riskant, komplexe Probleme auf einen Begriff zu reduzieren. Die Beispiele zeigen: „Schlechte” Wissenschaftskommunikation kann die Krise befeuern, indem sie polarisiert und kaum Ansätze zur Lösung bietet. Kaldewey formuliert aber auch, wie es besser gehen kann. „Gute” Wissenschaftskommunikation müsse die Krise der Faktizität berücksichtigen und sich trauen, auch kritisch im Umgang mit der Wissenschaft selbst zu sein.
Vierdimensionale statt eindimensionale Wissenschaftskommunikation
Um die Vielschichtigkeit der Krise der Faktizität besser zu verstehen, unterscheidet David Kaldewey vier zentrale Dimensionen. Diese vier Dimensionen stellten die Herausforderungen „guter” Wissenschaftskommunikation dar:
- alternative Fakten oder das Demarkationsproblem: Die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft, Information und Desinformation oder legitimierter Expertise und unqualifizierter Meinung sei nicht so eindeutig, wie wir häufig annähmen.
- unsichere Fakten oder das Problem der Unsicherheit des Wissens: Wissenschaftliches Wissen sei immer unsicher und vorläufig. Es gehe darum, die Offenheit und Geschlossenheit des Wissens zu klären („Dissens” und „Konsens”) und Unsicherheiten offen zu kommunizieren, ohne das Vertrauen in die Wissenschaft zu gefährden.
- politisierte Fakten oder das Problem der Wertgeladenheit: Fakten seien oft politisiert und nicht wertfrei. Die permanente kommunikative Herausforderung bestehe darin, transparent zwischen Wissenschaft und Politik zu trennen.
- multiple Fakten oder das Problem der Vielfalt wissenschaftlicher Perspektiven: Wissenschaftliche Perspektiven und Disziplinen seien vielfältig. Fakten passten nicht immer zusammen. Sie könnten jeweils für sich ein belastbares wissenschaftliches Wissen darstellen und gleichzeitig auch in Spannung miteinander stehen.
Forschende und Kommunikator*innen sollten im Kontext komplexer gesellschaftlicher Probleme stets alle vier Dimensionen im Blick behalten. Im Idealfall „gelingt so eine Transformation von einer eindimensionalen in eine vierdimensionale Wissenschaftskommunikation”, so Kaldewey.
Zum Schluss seiner Keynote zieht David Kaldewey ein positives Fazit: „Die Tatsache, dass Fakten unsicher und wertgeladen sind und Weltdeutungen immer im Plural erscheinen, schwächt weder ihre wissenschaftliche Robustheit noch ihre realweltliche Relevanz“. Eine „gute” Wissenschaftkommunikation „checke“ daher nicht einfach die Fakten, sondern feiere sie in ihrer Komplexität, Relevanz und Vielseitigkeit.