Orientierung schaffen in einem hochdynamischen Feld: Leitlinien zur KI-Nutzung

Welche Aufgaben kann generative KI übernehmen? Wo liegen die Grenzen der Nutzung? Diese Fragen stellen sich momentan viele in der Wissenschaftskommunikation. Mit einem Workshop beim Forum Wissenschaftskommunikation wollen Svenja Niescken und Liliann Fischer die Erarbeitung von Leitlinien zum Einsatz generativer KI in der Wissenschaftskommunikation thematisieren. Im Interview sprechen sie über die Nutzung von KI-Tools und darüber, wie man in einer dynamischen Entwicklung den Überblick behält.
von Ursula Resch-Esser
Wie hat sich die Wissenschaftskommunikation durch den Einsatz generativer KI verändert und was erwartet ihr für die Zukunft?
Svenja Niescken:
Das ist eine große Frage: Wir hatten noch nie eine technische Entwicklung, die den Kommunikationsprozess derartig auf den Kopf stellt. Und wir sind noch mitten drin im Wandel. Die Dynamik ist so groß, dass es sehr schwierig ist, hinterher zu kommen. Die Bandbreite, wer welche Tools in welcher Art und Weise und für welche Prozesse nutzt, ist immens.

Was hört ihr aus euren Communitys über die Nutzung generativer KI und welche Fragen gibt es?
Svenja Niescken: Beim Informationsdienst Wissenschaft sehen wir, dass es in sehr vielen wissenschaftlichen Einrichtungen gut ausgearbeitete Leitlinien oder Handreichungen für den Einsatz von KI in Forschung und Lehre gibt. Aber wir sehen eine sehr viel größere Unsicherheit bei der Frage, wie KI-basierte Tools in der Wissenschaftskommunikation eingesetzt werden können und sollen. Auf der einen Seite wird das riesige Potenzial gesehen, das sich hinter den KI-Tools verbirgt, etwa mit Blick auf die Arbeitserleichterung. Wir haben Einrichtungen, die den kompletten Prozess von der Studie bis zur Pressemitteilung und den passgenauen Social-Media-Posts KI-basiert durchexerzieren. Andere sind da sehr viel zurückhaltender und auch sehr unsicher. Ich würde aber sagen, dass es so gut wie keine Einrichtung mehr gibt, die überhaupt nicht mit KI-Tools arbeitet.
Liliann Fischer: Es gibt eine sehr interessante Studie zur Nutzung von KI in der Hochschulkommunikation, die Justus Henke an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg nun schon zwei Jahre in Folge gemacht hat. Auch da sieht man, dass die überwiegende Mehrheit schon einmal KI-Tools genutzt hat. Bei der Textgenerierung, zum Beispiel mit ChatGPT, sind es 83 Prozent, die das zumindest schon einmal ausprobiert haben oder es mehr oder weniger häufig nutzen. Aber auch wir hören aus der Community, dass es eine relativ große Unsicherheit bezüglich der Vorgaben gibt. Ein Riesenthema ist zum Beispiel die Urheberschaft. Was muss man deklarieren und wie? Muss man schon angeben, wenn man ein Tool benutzt hat, um zu prüfen, wo ein Komma fehlt, oder nur, wenn der ganze Text KI-generiert ist? Ich glaube, es gibt ein Gefühl, dass KI nur unterstützend sein darf und nie alleine Aufgaben der Wissenschaftskommunikation erfüllen soll. Die Grenzen sind allerdings fließend. Deshalb wünschen die Leute sich Leitlinien. Sie möchten Orientierung haben, in diesem hochdynamischen Feld, das sie als sehr schwierig zu navigieren empfinden.

Nun gibt es ja schon eine Vielzahl an Handlungsempfehlungen, Leitlinien, Handreichungen. Wie wird der Workshop diese aufgreifen?
Liliann Fischer: Wir wollen auf dem aufbauen, was es schon gibt. Generell ist unser Eindruck, dass es Leitlinien auf zwei Ebenen gibt: Auf einer Makroebene, wo sie ganz große grundlegende Pfeiler definieren und Werte festlegen. Und es gibt Leitlinien auf ganz niedriger Ebene, etwa Checklisten oder konkrete Arbeitsanweisungen. Mit dem Workshop möchten wir den Bereich dazwischen füllen. Wir wollen von diesen großen Werten und Prinzipien ausgehen und fragen, was heißt das denn für unsere Arbeit, ohne direkt zur konkreten To-Do-Liste zu kommen, wie ich zum Beispiel einen Social-Media-Post schreibe.
Svenja Niescken: Wir haben uns bestehende Leitlinien angeschaut und auf der Makroebene große Übereinstimmungen festgestellt. In so gut wie allen Leitlinien steht drin, dass generative KI keine Autorenschaft übernehmen kann, sondern nur als unterstützendes Werkzeug eingesetzt werden darf, dass es hohe Qualitätsstandards und Transparenz braucht und dass die Kennzeichnungspflicht berücksichtigt werden muss. Als wichtig wurde auch erachtet, dass ethische und rechtliche Aspekte eine Rolle spielen, ebenso der Datenschutz. Man muss außerdem ein Bewusstsein für Risiken transportieren. Nicht zuletzt wird der große Bereich des Empowerments erwähnt. Es gibt eine sehr hohe Übereinstimmung, dass Wissenschaftskommunikator*innen von den Einrichtungen im rechtssicheren Umgang mit KI-Tools geschult werden müssen.
Wie soll denn konkret dieser Bereich zwischen Makro- und Mikroebene – zwischen den großen Prinzipien und etwa den detaillierten Checklisten – überbrückt werden.
Liliann Fischer: Darüber haben wir viel diskutiert. Ich denke, wir müssen uns eher damit beschäftigen, welche Fragen wir uns bei der Nutzung von KI-Tools eigentlich stellen müssen, wenn wir bestimmte Werte hochhalten möchten und Prinzipien gewahrt bleiben sollen.
Wenn ich gute Wissenschaftskommunikation machen will, muss ich zum Beispiel auch die Frage beantworten, was ist mein Ziel und wer sind meine Zielgruppen? Darüber muss man sich Gedanken machen. Das bedeutet aber nicht, dass ich konkret festlege, dieses Ziel ist gut für dieses Format und diese Zielgruppe die beste Zielgruppe. Und so würden wir das auch im Workshop zum Thema KI angehen wollen. Ich glaube, das ist der einzige Weg, um in dieser dynamischen Entwicklung eine Orientierung zu geben. Denn alles, was wir jetzt konkret festlegen, ist wahrscheinlich in drei Monaten schon nicht mehr aktuell.
Was erwartet die Teilnehmenden im Workshop?
Liliann Fischer: Wir werden am Anfang einen Input hören zu dem, was es schon gibt, unter anderem über die Recherche des Informationsdienst Wissenschaft, die Svenja schon erwähnt hat, über die Erfahrungen der Taskforce der FactoryWisskomm und über die Erfahrungen aus dem Bundesverband Hochschulkommunikation, der auch an Leitlinien arbeitet, und nicht zuletzt über die Handlungsempfehlungen, die wir für die WiD-Perspektiven entwickelt haben. Dann werden wir uns in einem Barcamp-ähnlichen Format mit den verschiedenen Werten, Leitlinien, Prinzipien auseinandersetzen und versuchen Fragen zu entwickeln. Wichtig ist uns, dabei ganz stark die Erfahrungen der Teilnehmenden einzubinden, aber auch die Bedarfe, die sie mitbringen.
Svenja Niescken: Wir wollen mit dem Workshop einen Prozess anstoßen. Und dabei ist es wichtig, ganz verschiedene Perspektiven und Stimmen zusammenzubringen. Denn am Ende des Prozesses soll ein Konsens stehen, dahingehend wie und nach welchen Prinzipien wir in der Wissenschaftskommunikation mit KI arbeiten wollen. Dann haben wir eine Hilfestellung für alle Einrichtungen, die in der Wissenschaftskommunikation aktiv sind. Auch für die kleinen, denen vielleicht Know-how und Personal fehlt, solch einen Prozess in den eigenen Reihen abzuwickeln. Wir sehen das ja bei den Leitlinien zur guten Wissenschaftskommunikation, dass man so einen Goldstandard in der Branche setzen kann, der für alle Einrichtungen einen Mehrwert bietet.
Wie soll es nach dem Workshop weitergehen?
Liliann Fischer: Ich würde mir wünschen, dass wir erreichen – mit dem Forum insgesamt und mit dem Prozess zur Entwicklung der Leitlinien, den wir im Workshop anstoßen – dass Leute in der Wissenschaftskommunikation wieder mehr das Gefühl haben, nicht nur zu reagieren. Aktuell ist die Entwicklung im Bereich generative KI so dynamisch, dass ganz viele sich überrollt fühlen und versuchen, im Nachhinein neue Entwicklungen zu verstehen und ganz schnell zu reagieren. Deshalb möchten wir Leitlinien schaffen, die nicht starr sind, sondern die den Leuten einen Denkansatz an die Hand geben, eine Herangehensweise, in der Hoffnung, dass sie damit ein bisschen mehr das Gefühl haben, egal was kommt, ich bin vorbereitet.
Svenja Niescken: Wichtig ist auch, dass jede und jeder einzelne Wissenschaftskommunikator*in dann entscheiden kann, mit welchen Tools und mit welchen Aspekten von KI muss ich mich beschäftigen und mit welchen vielleicht auch nicht. Wir haben das bei den Kommunikationskanälen ja auch gelernt: Mehr hilft nicht immer und ist auch nicht unbedingt sinnvoll.