„Es darf keinen Mut benötigen, über Wissenschaft zu sprechen“
Im Rahmen des FWK22 ehrte die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim mit der Loren-Oken-Medaille. In der anschließenden Diskussionsrunde ging es um Hate Speech, Wissenschaftsskepsis und Empowerment durch Wissenschaftskommunikation.
von Alena Weil
Im Rahmen des Forum Wissenschaftskommunikation 2022 ehrte die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim mit der Lorenz-Oken-Medaille. In der anschließenden Diskussionsrunde sprach Nguyen-Kim mit GDNÄ-Präsident Martin Lohse, GDNÄ-Generalsekretär Michael Dröscher und dem Göttinger Unipräsident Metin Tolan über Wissenschaftskommunikation in Zeiten von Social Media, Hate Speech und Wissenschaftsskepsis.
Ein schöner Anlass, ein ernstes Thema
In Ihrer Rede beim Forum Wissenschaftskommunikation 2022 findet Mai Thi Nguyen-Kim deutliche Worte zum aktuellen gesellschaftlichen Klima. Das Ausmaß an Hass und Anfeindungen gegenüber Menschen, die über Wissenschaft aufklären, habe ein inakzeptables Ausmaß angenommen. Dabei erinnert sie an die österreichische Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr, die sich öffentlich für Coronaimpfungen stark gemacht hatte und über Monate hinweg bedroht wurde. Im Juli wurde sie tot in ihrer Praxis aufgefunden. Nach ihrem Suizid hätten sich auch viele andere Stimmen zurückgezogen, die zuvor öffentlich über Wissenschaft aufgeklärt hatten, mahnt Nguyen-Kim. Zwar kämen einige davon langsam wieder zurück und beteiligten sich wieder an öffentlichen Debatten. Aber: Wenn in diesem Zusammenhang jetzt die Wörter „Mut“ und „Zivilcourage“ fielen, sei genau das ein Problem. „Es darf keinen f* Mut benötigen, über f* Wissenschaft zu sprechen!“
Es sind harte Worte, es ist ein ernstes Thema, über das Nguyen-Kim spricht. Der Anlass hingegen ist eigentlich ein schöner: Die Deutsche Gesellschaft für Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) verleiht Mai Thi Nguyen-Kim die Lorenz-Oken-Medaille – für ihre außergewöhnlichen Leistungen in der Wissenschaftskommunikation. Die Auszeichnung und die damit verbundene Würdigung ihrer Arbeit mache sie sehr glücklich, sagt Nguyen-Kim in ihrer anschließenden Rede. Zugleich zeigt sie sich nachdenklich. Sie betont, in welcher privilegierten Position sie sei: Mit einem starken Team um sich herum und einer professionellen Infrastruktur, die sie auch von Hass und Häme abschirme. Anders sei ihre Arbeit kaum möglich. „Bei all der Freude, die ich über diesen Preis verspüre – ich möchte davor warnen, mich als Beleg dafür zu sehen, dass Wissenschaftskommunikation im Informationszeitalter des Internets super funktioniert.“
Von Hassmails und BILD-Kampagnen: Warum sollten Forschende sich das antun?
Aber wo genau liegen die Probleme und wie können wir es besser machen? Darüber diskutierte Mai Thi Nguyen-Kim anschließend mit GDNÄ-Präsident Martin Lohse, Laudator Metin Tolan, Präsident der Universität Göttingen und GDNÄ-Generalsekretär Michael Dröscher. Dabei kritisiert Nguyen-Kim auch die Medien: Zu oft verfielen diese in die sogenannte „False Balance“, räumten also extremen oder unwissenschaftlichen Positionen im Vergleich zu wissenschaftlichen Konsensmeinungen zu viel Platz ein. Aktive Wissenschaftler*innen könnten kaum etwas gewinnen, wenn sie sich beispielsweise in Talkshows setzten: „Das Beste, was mir als Forschende passieren kann, ist, dass ich nicht falsch verstanden werde; dass die Bildzeitung danach keinen Verriss über mich macht.“ Natürlich stelle sich da für Wissenschaftler*innen die Frage: „Warum sollte ich mir das antun?“
Kaum ein Jahr ist es her, dass die Bildzeitung drei Forschende, die sich in öffentlichen Debatten zur Coronapolitik geäußert hatten, als „Lockdownmacher“ diffamierte. Betroffen war auch die Göttinger Physikerin Viola Priesemann. Die Universität habe sich damals sofort schützend vor die Wissenschaftlerin gestellt, betont Unipräsident Metin Tolan. Und das sei in solchen Momenten auch wichtig: „Man darf die Leute nicht im Regen stehen lassen.“ GDNÄ-Präsident Lohse stimmt zu: „Wir leben in einer Zeit, in der auch Institutionen Solidarität zeigen müssen.“
Forschende sollten auch strukturell besser vor Anfeindungen geschützt werden, sagt Mai Thi Nguyen-Kim. Und stellt unter anderem die Frage, ob Mailadressen von Wissenschaftler*innen wie Melanie Brinkmann wirklich immer noch überall – auf Websites, auf Publikationen – auffindbar sein müssten. Angesichts der Menge an Nachrichten, die nach öffentlichen Auftritten auf Forschende einprassele, und auch angesichts der Bedrohungslage, sei das einfach nicht mehr zeitgemäß.
Methodenverständnis als Empowerment-Strategie
Die Anfeindungen, der Hass und auch die Wissenschaftsskepsis allgemein – all das ist während der Pandemie besonders laut, besonders offensichtlich geworden. Doch das Problem, dass Menschen sich von der Wissenschaft abwenden, bestand schon vorher, sagt Metin Tolan. „Gehen Sie doch mal in eine Buchhandlung, da finden Sie einen kleinen Stand Sachbücher und ein Stück weiter eine riesige Ecke mit Esoterik. Das Problem ist schon die ganze Zeit da gewesen, und jetzt kommt es noch deutlicher raus und wir müssen versuchen, darauf zu reagieren.“ Tolan sieht langfristig auch die Demokratie in Gefahr. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir jemals zu so einem Schluss kommen – aber wir reden darüber, ob sogar unsere Gesellschaftsform, unsere Demokratie bedroht ist, die wiederum erst das freie Forschen ermöglicht.“
Was können wir also tun, um das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken? Eine Herausforderung bei der Kommunikation von Forschung liege im Wesen der Wissenschaft selbst, sagt Lohse. „Wissenschaft ist ständig in Bewegung und lebt eigentlich vom Widerspruch. Aber das ist natürlich schwer zu kommunizieren.“ Es sei daher wichtig zu schauen: „Wo ist die gemeinsame Wirklichkeit?“, also der Grundkonsens, auf den sich alle Forschende einigen können – etwa, dass es das Coronavirus gibt. Und dann wiederum zu fragen: Welche unterschiedlichen Meinungen gibt es darüber hinaus und wie kommen diese zustande?
Das Verständnis wissenschaftlicher Methoden sei dabei essenziell, betont Nguyen-Kim. „Bei meiner Arbeit versuche ich daher, nicht nur zu vermitteln, was die Wissenschaft sagt, sondern auch: Warum? Woher weiß man das? Was wurde genau gemacht, was wurde gemessen, mit welcher Methode? Woher kommen Widersprüche?“ Ziel sei es, dass die Menschen wissenschaftliche Erkenntnisse und Arbeitsweisen selbst einordnen können, anstatt nur Autoritäten zuzuhören, so Nguyen-Kim. „Das Methodenverständnis stärken – das ist es, was wir tun können, um die Menschen zu empowern.“