„Diversität ist wichtig, macht aber auch Arbeit“
„Vielfalt statt Einfalt: Wie steht es um die Diversität in der Wissenschaftskommunikation?“ Zu dieser Frage moderiert Harald Wilkoszewski vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) eine Session beim Forum Wissenschaftskommunikation 2023. Im Interview haben wir mit ihm über seine eigene Diversitätsgeschichte gesprochen und ihn gefragt, welchen Beitrag Diversität für gute Wissenschaftskommunikation leisten kann.
von Hanna Strub
Herr Wilkoszewski, was bedeutet für Sie Diversität?
Zum Thema Diversität habe ich einen persönlichen und einen fachlichen Zugang. Beide sind mir sehr wichtig. Mein persönlicher Zugang ist der, dass ich erstens einen Migrationshintergrund habe – was für viele erst einmal überraschend ist. Zweitens bin ich Bildungsaufsteiger. Mein Bruder und ich gehören zu den ersten in der Familie, die studiert und promoviert haben. Erst in der Rückschau habe ich verstanden, dass wir deshalb gewisse Barrieren zu überwinden hatten. Und mein dritter Diversitätsaspekt ist der, dass ich homosexuell bin. Darüber offen zu sprechen, musste ich im beruflichen Umfeld erst lernen. Dies sage ich so explizit, weil das Panel auch über die Frage von sexueller Identität als Teil von Diversität diskutieren wird. Diese drei Dimensionen von Vielfalt prägen mich als Persönlichkeit, sie trage ich natürlich auch mit in mein professionelles Leben.
Die Wissenschaftskommunikation beschäftigt sich schon seit längerem mit der Frage, wie sie mehr wissenschaftsferne Gruppen erreichen kann. Das halte ich für eine extrem wichtige Frage. Und gleichzeitig reicht es nicht, den Blick nur auf Adressat*innen zu richten. Mich und Jörg Weiss von con gressa – mit ihm zusammen ist die Idee für das Panel entstanden – treibt vor allem die Frage nach der Innenperspektive um: Wie divers müssen wir in der Wisskomm-Community sein, um ein möglichst vielfältiges Publikum anzusprechen?
Warum finden Sie es wichtig, im Rahmen des diesjährigen Forum Wissenschaftskommunikation rund um den Schwerpunkt „Debattenkultur” über das Thema Diversität zu sprechen?
Diversität ist ein Thema, über das man immer sprechen sollte. Demokratie braucht Debatte, und Debatte braucht Diversität. Im Moment haben wir die Situation, dass in manchen Teilen der Bevölkerung eine Ermüdung eintritt, weil sie das Gefühl haben, sie dürften beispielsweise nicht mehr so sprechen, wie sie es gewohnt sind. Die Frage der Diversität ist für die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen und wie wir Diskurse führen, wichtig. Sobald es eine Offenheit für Unterschiede gibt und wir einen Raum haben, in dem sich jede*r willkommen fühlt und wir uns auf Augenhöhe begegnen, können wir einen anderen Diskurs führen. Dann ist Vertrauen vorhanden und die Debatten bekommen inhaltlich eine andere Qualität.
Wie divers schätzen Sie die Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation in Deutschland ein?
Auf der Jahrestagung des Bundesverbandes für Hochschulkommunikation haben wir kürzlich eine kleine Umfrage gemacht. Unter den Anwesenden im Publikum gab es grundsätzlich die Einschätzung, dass wir noch viel Luft nach oben haben. Wenn man in unterschiedliche Einrichtungen schaut, sieht man natürlich, dass sich die Wissenschaft diversifiziert und internationalisiert. Es wurden zuletzt auch Rekordzahlen gemeldet an internationalen Studierenden. Allerdings gibt es eine ungleiche Verteilung über Disziplinen und Standorte. Auch in Sachen Gleichstellung ist viel passiert. Im Frühjahr erschien eine neue Studie des WZB, die zeigt, dass Frauen mittlerweile bei Bewerbungen für Professuren genauso große Chancen wie Männer haben. Doch die Diversitätsfrage endet hier nicht. Wichtig fände ich, dass wir auch über die klassischen Diversitätsachsen wie Gender oder Herkunft hinausgehen und weitere Dimensionen miteinbeziehen.
Welche Hürden verhindern mehr Diversität in der Wissenschaftskommunikation?
Karl Valentin soll einmal gesagt haben: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Diesen Spruch möchte ich hier auf Diversität anwenden und sagen: „Diversität ist wichtig, macht aber auch Arbeit“. Und das ist eine Arbeit, die erst einmal jede*r selbst machen und sich fragen muss: Wo stehe ich im sozialen Gefüge? Was unterscheidet mich von den Menschen um mich herum? Was sind unsere Gemeinsamkeiten? Die Barrieren jenseits des persönlichen Schweinehunds sind Fragen von Ressourcen, Zeit und Formaten. Aber die größte Hürde ist meiner Meinung nach die, dass das Thema immer noch mit einem Tabu behaftet ist. Einerseits ist der Begriff Diversität gerade in aller Munde, anderseits gibt es – besonders bei Themen wie der sexuellen Identität – immer noch Widerstände im persönlichen Umfeld oder im Diskurs und ganz klare Ressentiments in bestimmten politischen Kreisen. Diese Tabus können wir nur schleifen, wenn wir darüber reden. Und zwar auf eine konstruktive Art und Weise, ohne anklagenden Charakter.
Wie können Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation diverser werden?
Wichtig ist mir an dieser Stelle zu betonen, dass das Thema nicht neu ist. Der Fokus auf die Innenperspektive ist aber vielleicht dann doch neu. Mich beeindrucken beispielsweise die Neuen deutschen Medienmacher*innen. Diese Initiative von Journalist*innen mit und ohne Einwanderungsgeschichte hat sich zum Ziel gesetzt, die Vielfalt unseres Medienpersonals zu fördern. In unserem Panel werden wir diesen Ansatz auf die Wisskomm übertragen und fragen: Sind wir so offen, wie wir uns landläufig fühlen? Wo haben wir noch unbemerkte Defizite?
Inwieweit würden wir von mehr Diversität in der Wissenschaftskommunikation profitieren?
Der Gewinn, wenn wir uns mit der Frage „Wie divers sind wir?“ beschäftigen, liegt darin, dass wir dann auch unseren Blick nach außen weiten. So sollten wir etwa die sprachlichen Bilder hinterfragen, die wir in der Kommunikation nutzen, um niemanden auszuschließen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In einem Text für Schüler*innen hieß es zur Veranschaulichung einer Forschungsfrage: „Wir kennen das vom Urlaub am Strand…“ Hier dachte ich: Vorsicht, es gibt viele Menschen, die noch nie im Urlaub am Strand waren, weil sie es sich einfach nicht leisten können. Sie fühlen sich an dieser Stelle wahrscheinlich nicht angesprochen und wenden sich womöglich ab. Hier liegt der Wert von Diversität in der Wissenschaftskommunikation: Wir sollten in unserer Kommunikation so viele Perspektiven wie möglich mitdenken. Der Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen wird dadurch letztendlich sozial gerechter.
Was erwartet die FWK-Besucher*innen bei dem Panel?
Die Besucher*innen können sich auf drei wahnsinnig interessante Panelist*innen mit unterschiedlichen Perspektiven freuen. Ich verspreche mir vielfältige Einblicke in ihre Erfahrungen und auch positive Beispiele, aus denen wir lernen können. Auch ich bin sehr gespannt auf die Diskussion – wir haben keine Blaupause und uns erwartet ein sehr interaktives, offenes Format. Und am Ende soll es auch Take-Home-Messages geben, die jede*r mit in die eigene Arbeit nehmen kann.
Forum Wissenschaftskommunikation, Mittwoch, 15. November, 15.15–16.30 Uhr
Session: Vielfalt statt Einfalt: Wie steht es um die Diversität in der Wissenschaftskommunikation? Moderation: Harald Wilkoszewski, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) Referent*innen:
Zeynep Demir, Universität Bielefeld; Polo Türk, Neue deutsche Medienmacher; Jörg Weiss, congressa