Diskursforschung ins Gesundheitsamt bringen

© WiD
26. Juni 2024
Eindrücke aus dem Prototyping-Workshop von DiPubHealth

Forschende, Kommunikator*innen und Praktiker*nnen haben diskutiert, wie ein guter Transfer von der Forschung in die Praxis der Gesundheitskommunikation gelingen kann.

von Babette Jochum

“Hier ist ein Elefant. Der könnte für die Forschung stehen”, sagt ein Teilnehmer und reicht die Legofigur weiter an seine Teamkollegin. Beim Prototyping-Workshop “Diskurssensible Gesundheitskommunikation” wird gebastelt und gebaut. Es sind 13 Menschen aus der Gesundheitskommunikation zusammengekommen: Forschende, Kommunikator*innen und Praktiker*innen aus der kommunalen Gesundheitsversorgung. Das Team des Forschungsprojektes DiPubHealth - Diskurse zu Public-Health-Themen hat sie eingeladen, um gemeinsam zu diskutieren, wie ein guter Transfer von Forschung in die Praxis der Gesundheitskommunikation gelingen kann.

Diskursforschung anwendbar machen

DiPubHealth hat mit einem Projektteam aus Kommunikationswissenschaftler*innen des KIT, Soziolog*innen der RWTH und mit WiD in den vergangenen drei Jahren Diskurse zu Gesundheitsthemen erforscht. Daraus ist das Konzept der “Diskurssensiblen Gesundheitskommunikation” entstanden. Das Konzept sieht vor, bei der Planung von Kommunikationsvorhaben die öffentlichen Debatten zum Thema zu sichten und sie als Kontext in der Kommunikation zu berücksichtigen. Eine Diskurssichtung bietet etwa Erkenntnisse über die Inhalte von Kontroversen: Zu dem Thema kann Wissen fehlen oder unklar sein. Es kann Uneinigkeit über Handlungsoptionen oder Lösungsansätze herrschen. Oder es werden unter dem Deckmantel einer Diskussion über Wissen in Wirklichkeit Verhandlungen über Werte oder Interessen geführt. Durch die Diskurssichtung können Praktiker*innen ihre Kommunikationsvorhaben gezielt planen und Polarisierungen vorbereitet begegnen.

Was bisher als Konzept und Forschungsergebnis existiert, sollen Mitarbeitende in Gesundheitsämtern in ihrer täglichen Kommunikationsarbeit nutzen können. Der Workshop soll nun den Transfer von der Forschung in die Praxis begleiten - ein Prototyping für eine gelungene Einbindung der Gesundheitsdiskursforschung in den Arbeitsalltag von Mitarbeitenden der kommunalen Gesundheitsversorgung.

Mehrere Menschen sitzen in einem Seminarraum und beschriften Karteikarten

Von einer Menge Ideen…

Methodisch angelehnt war der Workshop an klassisches Prototyping. Das Ziel für das Projektteam war jedoch vor allem, Bedarfe und Anforderungen an einen guten Forschung-Praxis-Transfer abzuleiten. Deshalb sollten die Teilnehmenden möglichst kreativ und ideenreich arbeiten, ohne sich durch Gedanken an die Machbarkeit einzuschränken. Moderiert und konzipiert hat den Workshop die Innovationsberatung Innoki gemeinsam mit dem Team von DiPubHealth. Im ersten Schritt sammelten die Teilnehmenden Kanäle und Tools, die sie aktuell für den Forschung-Praxis-Transfer nutzen und benannten die mit den Kanälen und Tools verbundenen Vor- und Nachteile. Ob Webseiten, Newsletter und (Online)-Fachzeitschriften - die Teilnehmer*innen nannten überwiegend klassische Kanäle der Einweg-Kommunikation. Andere Kanäle seien häufig mit Kosten verbunden. Da zeigt sich: Bezahlschranken bei Forschungsdatenbanken und Teilnahmegebühren bei Konferenzen behindern Praktiker*innen dabei, auf aktuelle Forschung zuzugreifen.

Die Teilnehmenden lernten das Konzept “Diskurssensible Gesundheitskommunikation” in einem kurzen Input kennen. Sie probierten das Konzept selbst aus. Dazu bekamen sie eine Vielzahl von Diskursschnipseln aus Artikeln, Kommentarspalten von YouTube, App-Bewertungen oder einem Positionspapier einer Krankenkasse. Das Thema waren die sogenannten digitalen Anwendungen, auch “Apps auf Rezept” genannt. Im Anschluss sammelten die Teilnehmenden nach dem Motto “Quantität vor Qualität” möglichst viele Ideen dazu, wie sie das Konzept in konkrete Formate überführen könnten. Von Podcasts über aktuelle Gesundheitsdiskurse, über Apps, in die Bürger*innen ihre Meinung zu einem Gesundheitsthema einspeisen können, Begegnungsorte für Gesundheitskommunikator*innen und Bürger*innen um über Gesundheitsthemen ins Gespräch zu kommen bis hin zu Diskursbeauftragten, die an jedem Gesundheitsamt angestellt sein sollten: Aus einer Vielzahl von Ideen entschied sich jedes Team für eine Idee, an der es weiterarbeiten wollte.

… zu vier Prototypen

Ab da hieß es: Auf an den Basteltisch! Mit alten Zeitschriften, Lego, Knete, Stiften und Plakaten sollten die Teams ihre Idee so konkret ausgestalten, wie es in der kurzen Zeit möglich war. Über das Bauen, Zeichnen und Basteln diskutierten die Teams konkrete Umsetzungsschritte, merzten Denkfehler aus und kamen dem Kern ihrer Idee immer näher. So stellte eine Gruppe im Prozess fest, dass die Forschenden weiterhin an den Diskursanalysen beteiligt sein müssen - und fügte ihrem Prototyp gleich einen kleinen Elefanten aus Lego als Repräsentanz der Forschung hinzu. Aus Pfeifenputzern entstand eine “Diskursbrille”, die es ermöglichen soll, die Perspektive eines anderen einzunehmen, um dessen Meinung besser zu verstehen.
Die Teams stellten ihren Prototypen zunächst Mitgliedern anderer Teams vor, um Feedback einzuholen und einzuarbeiten. So entstanden vier Prototypen, die unterschiedliche Wege aufzeigen: “Diskurs Transparency” analysiert in einem Team aus Forschenden und Mitarbeitenden von Gesundheitsämtern Diskurse und stellt die Analysen den Gesundheitsämtern online zur Verfügung.
Im “Diskurslabor” debattieren Bürger*innen und Stakeholder in einem Workshop zu Gesundheitsthemen, die gerade aktuell sind und tragen die Ergebnisse in die Gesundheitsämter.

Auf der “Plattform für Diskurssensible Gesundheitskommunikation” lassen sich Best-Practice-Beispiele und fertige Diskursanalysen finden und Kontakt zu dem dahinter stehenden nationalen Hub aus Forschenden aufnehmen.

Mit dem Virtual-Reality-Spiel “Tauche ein” können Spieler*innen einen Diskurs selbst erleben, indem sie auf einer virtuellen Deutschlandkarte auf Personas mit unterschiedlichen Ansichten zu Gesundheitsthemen treffen.

Großer Bedarf und wenig Zeit

Für das Team von DiPubHealth machen diese Prototypen klar: Das Konzept der “Diskurssensiblen Gesundheitskommunikation” kommt gut an und trifft bei Praktiker*innen auf einen großen Bedarf nach evidenzbasierten Handreichungen und Hilfestellungen für den Alltag. Damit der Forschung-Praxis-Transfer gelingt, muss den Mitarbeitenden in der kommunalen Gesundheitsversorgung möglichst viel abgenommen werden, denn der Transfer muss niedrigschwellig und zeitsparend sein. Zudem besteht ein großer Wunsch nach Austausch zwischen den Gesundheitsämtern: “Wir alle bearbeiten dieselben Themen und denken uns aber in jedem Amt immer wieder eigene Formate aus, weil der Austausch fehlt”, sagt eine Teilnehmende. DiPubHealth nimmt die Ergebnisse in einer Konzeptstudie auf. Sie kann die Basis für ein weiteres Forschungsprojekt bilden, um die “Diskurssensible Gesundheitskommunikation” in die Praxis zu bringen - denn der Workshop zeigte deutlich, dass Bedarf besteht.