Das Vertrauen in die Wissenschaft verstehen: Ergebnisse eines Bürger*innendialogs

Eine Frau steht in einem Seminarraum und hält einen Vortrag.
Im Workshop diskutieren Bürger*innen darüber, was für sie Vertrauen in Wissenschaft ausmacht. Anne-Sophie Behm-Bahtat stellt das Projekt POIESIS vor, das den Workshop organisiert. | © Wissenschaft im Dialog
05. September 2023

Ob Forschende Fehler bei ihrer Arbeit machen, ist nicht entscheidend dafür, ob Menschen der Wissenschaft vertrauen. Viel wichtiger ist der Umgang mit solchen Fehlern. Gefragt sind mehr Transparenz und öffentliche Debatten, nicht nur zu Fehlern oder widersprüchlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch bei der Aufarbeitung kontrovers diskutierter Themen, wie etwa den Maßnahmen während der Coronapandemie. Diese Meinung vertreten Teilnehmende eines Bürger*innendialogs bei POIESIS.

von Ursula Resch-Esser

Anne-Sophie, bei POIESIS wollt ihr „das Vertrauen in die Wissenschaft verstehen“. Wie möchtet  ihr das erreichen?

Das große Ziel von POIESIS ist es, gesellschaftlichem Misstrauen gegenüber der Wissenschaft entgegenzuwirken. Dazu müssen wir aber erst einmal verstehen, wie dieses Misstrauen zustande kommt oder andersherum, was Vertrauen in die Wissenschaft für die Menschen ausmacht. Wir untersuchen besonders die Rolle von Integrität der Wissenschaftler*innen und von öffentlicher Partizipation in der Wissenschaft. Die thematischen Schwerpunkte des Projekts sind der Klimawandel und die Coronapandemie. Wichtig ist in unserer Analyse auch, welchen Einfluss  Kommunizierende und ihre Institutionen sowie die genutzten Kommunikationskanäle auf das Vertrauen in die Wissenschaft haben. 

Methodisch versuchen wir, so viele Perspektiven wie möglich in unsere Analyse mit einzubeziehen: Expert*innen-Interviews und Fokusgruppen mit Akteur*innen aus Forschung und Kommunikation, die Analyse von Umfragedaten, und, ganz wichtig, auch das direkte Gespräch mit Bürger*innen, wie beim Bürger*innen-Dialog im Juni hier in Berlin. 

Was waren für dich die interessantesten Erkenntnisse beim Bürger*innendialog, was die größten Überraschungen?

Solch ein Bürger*innendialog hat nicht nur in Berlin sondern in insgesamt sieben Ländern stattgefunden. Wir arbeiten in diesem Projekt mit Institutionen in Portugal, Spanien, Griechenland, Frankreich, Großbritannien und Dänemark zusammen. Überall haben wir die gleichen Materialien und Fragen diskutiert. So wollen wir herausfinden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es im internationalen Vergleich gibt, wenn es um Vertrauen in die Wissenschaft geht. In Kleingruppen haben wir reale Fallbeispiele zu den Themen wissenschaftliche Integrität und öffentliche Partizipation in der Wissenschaft diskutiert. Ein Beispiel ist die Ivermectin-Studie, die während der Coronapandemie Schlagzeilen gemacht hat. Die jeweiligen Fälle wurden in unterschiedlichen Medienformaten dargestellt, also in einem Zeitungsartikel, einer Pressemitteilung, einem Post in den sozialen Medien oder in einem Fernsehbericht. Was mich mit am meisten überrascht hat, war, wie sehr diese unterschiedlichen Kommunikationskanäle die Wahrnehmung der Teilnehmenden beeinflusst haben. Das gilt für die Fallbeispiele an sich aber auch für die beteiligten Akteur*innen. Bemerkenswert fand ich dabei, wie selbst-reflektierend die Teilnehmenden in dieser Hinsicht waren. Ich hätte gedacht, dass zum Beispiel die Diskussion über das teilweise dubiose Verhalten der Wissenschaftler*innen in den Fallbeispielen viel mehr Raum einnehmen würde. Stattdessen ging es eher darum, wie man sich als Bürger*in am besten mit wissenschaftlichen Nachrichten in verschiedenen Medien auseinandersetzt, um beurteilen zu können, welche Inhalte vertrauenswürdig sind und welche nicht. Es wurde betont, dass auch Kommunikation oft interessengeleitet ist und dass oft der genaue Blick auf die Quellen und zusätzliche Hintergrundrecherchen notwendig sind. Nicht zuletzt hat mich überrascht, dass die Teilnehmenden die Vernetzung von Politik und Wissenschaft als extrem ausgeprägt wahrnehmen. und dies sehr negativ beurteilen.

Eine Erkenntnis  war, dass die Nutzung verschiedener Kommunikationskanäle die Wahrnehmung von Inhalten beeinflusst? Kannst du das genauer erläutern?

Alle Kleingruppen haben die gleichen Texte bekommen, die aber teilweise in unterschiedlichen Medienformaten dargestellt waren. Tatsächlich wurde der gleiche Inhalt ganz anders bewertet, je nachdem, ob er in Form eines Facebook-Posts oder als Artikel in einer seriösen Wochenzeitung präsentiert wurde. Eine so unterschiedliche Bewertung gab es zum Beispiel nicht beim Vergleich eines Facebook-Posts mit einem Fernsehbericht. Insgesamt wurden die sozialen Medien und ihre Inhalte von den Teilnehmenden sehr kritisch betrachtet und als nicht seriös beurteilt. Viele Teilnehmende äußerten auch eine große Unsicherheit in Hinblick darauf, welchen Nachrichten sie vertrauen können, welchen nicht und welche Kriterien sie bei der Entscheidung darüber zugrunde legen sollten. Am größten war diese Unsicherheit bei Online-Medien.

Stichwort Integrität: Wie steht es um das Ansehen der Wissenschaftler*innen in der Bevölkerung?

Die Teilnehmenden hatten ein durchaus komplexes Bild von Wissenschaftler*innen und ihrer Arbeit. Sie sahen die Konkurrenz unter Forschenden sehr kritisch und haben viel über verschiedene Finanzierungsmechanismen und den Einfluss bestimmter Interessen auf die Forschung diskutiert, vor allem aus Politik und Wirtschaft. Gleichzeitig war die Mehrheit der Teilnehmenden davon überzeugt, dass Wissenschaftler*innen prinzipiell korrekt und integer arbeiten, also nicht bewusst Daten manipulieren, verfälschen oder Ähnliches. Fehler der Wissenschaftler*innen wurden als solche auch nicht als entscheidend für das eigene Vertrauen in die Wissenschaft wahrgenommen. Viel wichtiger war der Umgang mit den Fehlern. Die Teilnehmenden wünschten sich deutlich mehr Transparenz und öffentliche Debatten, sowohl im Umgang mit Fehlern oder widersprüchlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, als auch bei der Aufarbeitung kontroverser Themen allgemein, wie zum Beispiel der Sinnhaftigkeit der in der Coronapandemie getroffenen Maßnahmen. Die Teilnehmenden waren sich außerdem einig, dass es ihr Vertrauen in Studien und Wissenschaftler*innen erhöht, wenn diese ihre Daten öffentlich zugänglich machen. Open Science wurde in diesem Zusammenhang mehrfach positiv erwähnt.

Welche Rolle spielen Citizen-Science-Aktivitäten beim Vertrauen in die Wissenschaft?

Citizen-Science-Projekte wurden insgesamt sehr positiv bewertet. Anfangs gab es einige Zweifel, inwiefern Bürger*innen das notwendige Wissen und die erforderlichen Fähigkeiten mitbringen, um beispielsweise selbst verlässliche Naturbeobachtungen durchzuführen. Am Ende kamen die meisten Diskussionen aber zu dem Ergebnis, dass die Teilnehmer*innen an Citizen-Science-Projekten sehr wahrscheinlich eine so hohe Motivation und so großes Interesse an dem jeweiligen Thema mitbringen, dass sie fast bessere Datensammler*innen sein könnten als bezahlte Wissenschaftler*innen. Gleichzeitig war es den Teilnehmenden wichtig, dass die Bürgerwissenschaftler*innen nicht ausgenutzt werden dürfen, sondern am gesamten Projektverlauf beteiligt werden und ihr Beitrag wirklich wertgeschätzt wird. Neben der Bedeutung solcher Projekte für die Wissenschaft, unterstrichen die Teilnehmenden auch den gesellschaftlichen Einfluss von Citizen Science: Durch die direkte Beteiligung am Wissenschaftsprozess könne Wissenschaft für Bürger*innen erfahrbar und greifbarer werden. Eine Teilnehmerin sagte, die Wissenschaft würde mit solchen Projekten „aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen“. Das wiederum könne im besten Fall das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft verstärken.

POIESIS steht für Probing the impact of integrity and integration on societal trust in science. Das europäische Verbundprojekt wird im Rahmen von Horizon Europe gefördert und hat eine Laufzeit von drei Jahren. POIESIS wird von der Aarhus Universitet koordiniert.