Wissenschaftliche Politikberatung und Vertrauen
Beiratsmitglied Rainer Bromme unterstützt das Wissenschaftsbarometer mit seiner Forschung zur Vermittlung von wissenschaftlichem Wissen an Lai*innen und zu den Bedingungen, unter denen Menschen Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse haben oder verlieren. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums blickt er auf die Erhebungen des Wissenschaftsbarometers zur Corona-Pandemie zurück.
Im Frühjahr 2020 gab es vom Wissenschaftsbarometer ein Corona-Spezial: Dabei stimmten über 80 Prozent der Befragten der Aussagen zu, dass politische Entscheidungen im Umgang mit Corona auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen sollten. 2019, als diese Aussage im Kontext der Fridays for Future und Scientists for Future Bewegung erhoben wurden, stimmten nur etwas über 50 Prozent zu. Wie würden Sie das erklären?
Wenn ein Thema politisch umstritten ist, färben die politischen Konflikte sozusagen auf die Sicht auf die Wissenschaft und ihr Verhältnis zur Politik ab. Studien zeigen, dass Bürger*innen eine klare Rollenverteilung erwarten zwischen den Wissenschaftler*innen, die gesichertes Wissen als Entscheidungsgrundlagen bereitstellen und den Politiker*innen, die auf der Grundlage dieses Wissens ihre Entscheidungen fällen.
Die Wissenschaftler*innen von Fridays for Future und Scientists for Future wurden vermutlich viel eher als (auch) politische Akteure wahrgenommen, als diejenigen, die 2020 im Kontext von Corona öffentlich sichtbar waren.
Auch das Vertrauen in Wissenschaft und Politik erreichte im Frühjahr 2020 einen Höchstwert: Drei Viertel der Befragten gaben zu Beginn der Corona-Pandemie an, Wissenschaft und Forschung zu vertrauen. Im November 2020 waren es nur noch 60 Prozent, wenngleich immer noch mehr als vor der Pandemie. Wie interpretieren Sie die Entwicklung?
Zu Beginn der Pandemie standen Fragen zur Natur des Covidvirus im Mittelpunkt der öffentlichen Debatten und das große Vertrauen war Ausdruck von hohen Erwartungen an die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft, diese Fragen zu beantworten. Dann wurde im Laufe des Jahres 2020 aber auch deutlich, dass die nicht-pharmazeutischen Maßnahmen (z. B. Ausgangsbeschränkungen) auch Ergebnis politischer Entscheidungen sind. Damit gab es die oben als 'Abfärben' beschriebenen Wirkung von politischen Diskursen auf die Sicht der Wissenschaft.
Außerdem waren im Frühjahr 2020 die Befürchtungen und Sorgen rund um COVID sehr hoch und ließen dann im Laufe des Jahres 2020 etwas nach, wie die Längsschnittstudie des COSMOS Projekts zeigt. Schließlich wurde im Laufe des Jahres 2020 auch immer deutlicher, dass bald ein Impfstoff zur Verfügung stehen würde (was dann ab Dezember 2020 auch der Fall war).
Gemeinsam mit den Kolleg*innen von WiD haben Sie auch ein wissenschaftliches Paper zu den bestimmenden Faktoren von Vertrauen während der Corona-Pandemie veröffentlicht: An anchor in troubled times. Was waren Ihre zentralen Erkenntnisse?
Die Befragten hatten, wie oben erwähnt eine große Erwartung an die Politik, sich an wissenschaftlichen Ergebnissen zu orientieren. Auch der steile Anstieg des öffentlichen Vertrauens in Wissenschaft zu Beginn der Pandemie war außergewöhnlich, verglichen mit den Vorjahren. Dieser Anstieg war bei Personen mit bessere Ausbildung besonders groß. Bei Anhänger:innen der AfD war er jedoch deutlich geringer und nahm dann auch schneller ab. Das subjektive Gefühl des Verstehen von Wissenschaft (bezogen auf COVID) war zu Beginn der Pandemie relativ hoch, nahm aber dann ab.
Rainer Bromme ist Seniorprofessor am Institut für Psychologie an der Universität Münster. Bis 2017 war er dort Professor für Pädagogische Psychologie, davor von 1992 bis 1995 Professor an der Universität Frankfurt (Main). Zuvor arbeitete er am Institut für Didaktik der Mathematik (IDM), einem Forschungsinstitut zur Mathematikdidaktik an der Universität Bielefeld.
Von 2009 bis 2016 war er Sprecher des DFG Schwerpunktprogramms 'Wissenschaft und Öffentlichkeit: Das Verständnis konfligierender wissenschaftlicher Evidenz'.
Aktuelle Forschungsarbeiten betreffen Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsvertrauen, insbesondere im Bereich der Naturwissenschaften und Medizin, Fragen der Evidenzbasierung pädagogischer und psychologischer Praxis und das Lesen im Internet.
Am 6. November 2024 feiern wir das 10-jährige Jubiläum des Wissenschaftsbarometers. Interessierte können teilnehmen und erfahren, wie sich die Einstellungen der Deutschen zur Wissenschaft in den letzten zehn Jahren verändert haben. Wir präsentieren die aktuellen Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers 2024 und diskutieren zentrale Trends in der Wahrnehmung von Wissenschaft und Forschung. Die Vorstellung findet im Rahmen der Berlin Science Week statt. Die Teilnahme ist vor Ort im Fraunhofer-Forum Berlin oder digital via Livestream möglich. Wir bitten um eine Anmeldung.