"Natürlich muss man Wissenschaft nicht umfassend verstehen, um ihr zu vertrauen"
Welche Lehren über Vertrauen und Verstehen kann die Wissenschaftskommunikation aus der Pandemie ziehen? Im Gespräch mit Psychologieprofessor und Vertrauensforscher Rainer Bromme.
von Paul Sutter
Im Februar 2022 erschien “An anchor in troubled times: Trust in science before and within the COVID-19 pandemic” im Open Access Journal PLOS ONE. Die Studie ist eine tiefgreifende Untersuchung der Faktoren, die während der Pandemie das Vertrauen der Bürger*innen in die Wissenschaft beeinflussen und bedingen. Auf Grundlage der Daten des Wissenschaftsbarometers aus den Jahren 2019 und 2020 analysierten die Autor*innen, wie sich die Einstellungen der Bürger*innen zur Wissenschaft änderten und welchen Einfluss diese Entwicklungen auf das Vertrauen hatten. Wir haben mit Prof. Rainer Bromme, einem der Autoren der Studie, gesprochen, um ihn zu fragen, was die Wissenschaftskommunikation über das Wissenschaftsvertrauen lernen kann.
Herr Bromme, in Ihrem Paper An anchor in troubled times: Trust in science before and within the COVID-19 pandemic beobachten Ihre Kolleg*innen und Sie, dass das Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft und Forschung zu Beginn der Pandemie stark angestiegen ist und sich auch heute noch auf einem wesentlich höheren Niveau bewegt als noch 2019. Haben Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation also alles richtig gemacht?
Erst mal: Ja! Vielleicht nicht alles, aber es gibt immerhin viele gute Beispiele für richtig gute Wissenschaftskommunikation. Viele der Wissenschaftler*innen, die sich in der Pandemie auch in der Wissenschaftskommunikation engagiert haben, haben vieles richtig gemacht. Ein Beispiel dafür ist der Corona-Update Podcast mit Christian Drosten und Sandra Ciesek. Und zugleich ein Beispiel von Wissenschaftsjournalist*innen, hier Korinna Hennig und ihre Kolleg*innen, die sich trauen, auch neue Wege zu gehen. Immerhin war ja z.B. nicht von vorneherein klar, dass ein so komplexes Angebot wie dieser Podcast so viele Zuhörer*innen finden würde.
Ich will das aber nicht auf dieses Beispiel beschränken. Es gibt noch viele andere Kolleg*innen, die es als Teil ihrer gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Aufgabe gesehen haben, möglichst gut über Epidemiologie und die anderen relevanten Disziplinen aufzuklären. Bemerkenswert ist dabei, dass es vielen Wissenschaftler*innen gelungen ist, die Prozesshaftigkeit der Wissenschaft zu vermitteln, also zum Beispiel, dass sich die Datenlage immer wieder überholt und ständig neue Erkenntnisse gewonnen werden und es dennoch verlässliches Wissen gibt. Und ich habe den Eindruck gewonnen, dass sich – zumindest in den Qualitätsmedien – im Laufe der Pandemie ein Verständnis dafür entwickelt hat, dass wissenschaftliches Wissen sowohl dynamisch veränderlich und dennoch verlässlich sein kann. Dieses Verständnis wurde dann auch journalistisch umgesetzt und weiter transportiert. Hier hat übrigens (nach meinem Eindruck) das Science Media Center in Köln eine wichtige Rolle gespielt.
Aber ich will auch in einem anderen Sinne Ihre Frage beantworten und sagen: Das wissen wir doch gar nicht! Ihre Frage unterstellt ja, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an Wissenschaftsvertrauen und der Qualität der Wissenschaftskommunikation gibt. Da habe ich aber Zweifel. In welchem Ausmaß wird das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft überhaupt durch die Wissenschaftskommunikation beeinflusst? Dazu kenne ich keine Untersuchung. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass das Vertrauen in Wissenschaft auch von Faktoren abhängt, die die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation selbst gar nicht beeinflussen können. In unserem Papier diskutieren wir zum Abschluss die Möglichkeit, dass das Vertrauen in Wissenschaft von der Bewertung der Politik abhängen könnte, die zwar behauptet, wissenschaftsbasiert zu sein, sich aber de facto nur sehr selektiv auf Wissenschaft bezieht. Noch sehen wir in den Daten keine solche Rückwirkung des (abnehmenden) Vertrauens in Politik auf das Vertrauen in Wissenschaft – aber ich finde das eine spannende Frage, der man in Zukunft genauer nachgehen sollte.
Im April 2020 waren 61% der Befragten zuversichtlich, dass die Wissenschaft Medikamente und Impfungen gegen Covid-19 entwickelt, also 12% weniger als die fast 73%, die der Wissenschaft zur gleichen Zeit ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Wie erklären Sie den Unterschied?
Nun, diese Frage wurde im April 2020 gestellt. Da war noch nicht klar, wann es wirksame Impfstoffe geben würde. Warum sollten nicht auch Menschen, die diesbezüglich eher pessimistisch waren, dennoch Vertrauen in Wissenschaft haben?
Der Wissenschaft zu vertrauen bedeutet also nicht nur, an ihre Effektivität zu glauben. In Ihrer Studie berichten sie auch über weitere Dimensionen des Vertrauensurteils. Was ist damit gemeint?
Das Wissenschaftsbarometer fragt nach den Gründen für Vertrauen und für Misstrauen gegenüber Wissenschaftler*innen. Dabei werden jeweils drei Antworten angeboten, die den Dimensionen von Vertrauensurteilen entsprechen, die in der Vertrauensforschung unterschieden werden und die wir auch in anderen Untersuchungen für Wissenschaftsvertrauen feststellen konnten: Expertise, d.h. die Fähigkeiten oder das Können von Wissenschaftler*innen, Integrität, d.h. ihre Einhaltung von Regeln und Standards, und Wohlwollen. Damit bezeichnet man die Orientierung am Gemeinwohl bei der Forschungsarbeit. Interessant ist nun, dass die Stärke der Zustimmung zu diesen Gründen in dieser Reihenfolge gestaffelt ist, wenn es um Ursachen für Vertrauen geht. Wenn es um Ursachen für Misstrauen geht, kehrt sich diese Reihenfolge um. Das war auch schon vor der Pandemie so und dieses Muster ist auch während der Pandemie gleichgeblieben. Nach Ausbruch der Pandemie aber verstärkt sich die Zustimmung zu Expertise und zu Integrität als Ursachen für Vertrauen, während die Zustimmung zu allen drei Ursachen für Misstrauen abnimmt. Das deuten wir als Effekt des Zuwachses an Vertrauen in Wissenschaft und Forschung, der wohl auch dazu führt, dass die Gründe für Misstrauen insgesamt niedriger gewichtet werden.
Ende 2020 stimmen rund 35% der Befragten der Aussage “Wissenschaft und Forschung zu Corona sind so kompliziert, dass ich vieles davon nicht verstehe” zu, auch vor der Pandemie gaben rund 35% der Befragten an, nicht viel von Wissenschaft und Forschung zu verstehen. Müssen alle Menschen die Wissenschaft verstehen, um ihr zu vertrauen?
Erst mal: Das Ergebnis, das Sie genannt haben, will ich noch ergänzen: Zu Beginn der Pandemie sank der Anteil der Personen, die dem zustimmen von 35 auf 31% und der Anteil von Befragten, die dem dezidiert widersprechen, stieg von 28% vor der Pandemie (dort natürlich nicht mit Bezug auf Corona, sondern allgemein gefragt) auf 39% im April 2020 und immerhin noch 36% im September 2020. Gerade zu Beginn der Pandemie hatten also mehr Leute den Eindruck, dass sie das, was sie aus Wissenschaft und Forschung zur Pandemie hören, ganz gut verstehen – zumindest mehr, als wenn allgemein nach dem Verständnis von Wissenschaft und Forschung gefragt wird.
Nun zu ihrer Frage ob alle Menschen die Wissenschaft verstehen müssen, um ihr zu vertrauen? Empirisch finden wir, dass zumindest nach fast einem Jahr Pandemie (im November 2020) die Auffassung, Wissenschaft und Forschung seien zu kompliziert, ein negativer Prädiktor für Wissenschaftsvertrauen ist. In anderen Worten, wer diesen Eindruck hat, hat mit einer größeren Wahrscheinlichkeit auch weniger Wissenschaftsvertrauen. Aber, wie gesagt, diesen Zusammenhang finden wir erst, nachdem die Pandemie bereits eine Zeit lang gedauert hat. Dies gilt übrigens auch für den Effekt von Bildung. Zur Erläuterung: In unserer Analyse haben wir nur eine einfache Zweiteilung vornehmen können und dabei unterschieden zwischen formaler Schulbildung mit Abitur und ggf. auch mit Studium und Schulabschlüssen ohne Abitur, z.B. Haupt- und Realschule. Wir finden nun, dass der so berechnete Prädiktor Bildung zu Beginn der Pandemie einen geringeren statistischen Zusammenhang mit dem Vertrauen hat als im November 2020. Es scheint so, als ob erst im Laufe der Pandemie die tatsächliche Komplexität der auf COVID bezogenen Wissenschaft in der Allgemeinheit deutlich geworden ist – und dann spielen Bildungsunterschiede vermutlich eine stärkere Rolle.
Wenn ich Ihre Frage nun nicht als empirische Frage verstehe, sondern als eine eher allgemeine nach dem Verhältnis von Verstehen und Vertrauen, dann kann ich die klar verneinen. Natürlich muss man Wissenschaft nicht umfassend verstehen, um ihr zu vertrauen. Im Gegenteil: Gerade, weil ich als Laie vieles von dem nicht verstehe, was die Wissenschaft sagt, muss ich ihr vertrauen. Vor allem wenn es darum geht, warum ein bestimmter Befund wahrer und verlässlicher ist als ein anderer, nun widerlegter Befund, muss ich den Wissenschaftler*innen vertrauen, wenn sie sagen, dass dieser Befund wahr ist – und für mich diese Frage wichtig ist. Im Kontext der Pandemie gab es viele solche Situationen, ein prominentes Beispiel ist die Frage der Sicherheit von neu entwickelten Impfstoffen. Da kann ich zwar noch verstehen, warum ein mRNA-Impfstoff nicht meine DNA beeinflusst, wenn mir das eine Wissenschaftler*in erklärt. Aber ich kann in der Regel nicht mehr alle Beweise dafür nachvollziehen. Ich muss also irgendwann dem oder der Wissenschaftler*in vertrauen, die sagt, der mRNA-Impfstoff sei ungefährlich und auch nützlich. Deshalb ist die Öffentlichkeit letztlich darauf angewiesen, informierte Vertrauensurteile zu fällen – also zu überlegen, welchen Institutionen und Wissenschaftler*innen man vertrauen kann.
Was können wir aus der Corona-Pandemie über die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation lernen, das auch in künftigen Krisen gilt?
Da sehe ich (wenigstens) zwei Ansatzpunkte:
Zum einen das schon angesprochene Verhältnis von Verstehen und Vertrauen. Bedingt durch die Spezialisierung der Wissenschaften ist es schlicht nicht für alle möglich, alles zu verstehen. Ich glaube es ist wichtig, auch in der Wissenschaftskommunikation über den Unterschied zwischen Alltagswissen und wissenschaftlichem Wissen zu sprechen. Es hängt mit der Natur der Wissenschaft zusammen, dass man als Laie nicht alles verstehen kann. Das muss also kein Grund sein, der Wissenschaft als Ganzes nicht zu vertrauen. Es ist wichtig, schon in den Schulen zumindest einen Grundbestand an Wissen über den Wissenschaftsprozess zu vermitteln, das weiß auch die Didaktik der Naturwissenschaft schon lange. Dazu gehört aber auch, die Grenzen des Alltagswissens und den Unterschied von wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen explizit zu behandeln. Psychologische Studien zeigen uns, dass eine realistische Einschätzung des eigenen begrenzten Wissens vor Denkfehlern schützt.
Zum anderen sollte man das Verhältnis von Politik und Wissenschaft im Auge behalten. In unserer Studie haben wir klar aufzeigt, dass es in der Pandemie eine sehr hohe Erwartung in der Öffentlichkeit gibt, dass die Politik sich an der Wissenschaft orientiert. Diese Erwartung hängt auch stark mit dem Vertrauen in Wissenschaft zusammen.
Die Politik behauptete mit Bezug auf die Pandemie immer wieder, sich auf die Wissenschaft zu berufen. Der konfuse politische Umgang mit der Pandemie aber ist wahrscheinlich einer der Gründe, wieso das Vertrauen in die Politik abnimmt, während das Vertrauen in die Wissenschaft noch stabil hoch bleibt. Besonders in den Daten des Wissenschaftsbarometers von 2021, die noch nicht im Paper verarbeitet wurden, wird dieser Trend deutlich. Für die Wissenschaftskommunikation ergibt sich die Aufgabe, die Rolle der Wissenschaft bei der Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Umgangs mit der Pandemie genauer ins Auge zu fassen. Es gilt, sowohl über das Spannungsverhältnis zwischen Politik und Wissenschaft als auch über wissenschaftliche Politikberatung zu sprechen. Angesichts dieser Erwartung muss in der Wissenschaftskommunikation selbst klarer über das Verhältnis von Politik und Wissenschaft nachgedacht und gesprochen werden.