Nachgefragt - bei Philipp Schrögel
In der Reihe „Nachgefragt“ stellen wir in loser Folge Menschen vor, die in der Wissenschaftskommunikation arbeiten. Mit 17 Fragen - und 17 Antworten, mal ernsthaft, mal humorvoll.
von Ursula Resch-Esser
In der zweiundsiebzigsten Ausgabe sprechen wir mit Philipp Schrögel. Er ist Forschungskoordinator und Wissenschaftskommunikator am Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien an der Universität Heidelberg.
Ein*e gute*r Kommunikator*in braucht…?
Die Fähigkeit, aus vielen wichtigen Aspekten dennoch eine pointierte Auswahl treffen zu können. Deswegen möchte ich drei Dinge nennen, neben dem geschickt im Einleitungssatz versteckten vierten: 1) Integrität – Werte zu haben, diese auch aktiv zu vertreten und deswegen auch mal etwas nicht kommunizieren 2) Anspruch – an eine moderne Wissenschaftskommunikation lege artis, an den tatsächlichen Impact seiner Arbeit, inkl. des Mutes diesen kontinuierlich zu reflektieren 3) Offenheit – für neue Ideen, neue Zielgruppen, partizipative Ansätze, Empathie und als offenes Ohr zum Zuhören.
Was hat Sie dazu bewogen, in der Wissenschaftskommunikation zu arbeiten?
In meinem ersten Karriereweg als Physiker (eine Perspektive, die ich auch nicht missen möchte) habe ich durch mein hochschulpolitisches Engagement schnell gemerkt, dass mich der Blick auf Wissenschaft und Gesellschaft und der Anspruch, auch praktisch mehr zu tun, mehr interessieren. Deswegen habe ich dann zuerst die Richtung Public Policy verfolgt. Für meinen Weg konkret zur Wissenschaftskommunikation ist zum Teil sicher Dietram Scheufele verantwortlich, für den ich in meiner Zeit in Harvard als Research Assistant arbeiten durfte. Und vielleicht ein bisschen auch die Erkenntnis, dass ich für eine Policy-Karriere manchmal etwas zu undiplomatisch bin.
Ihr Arbeitsalltag in drei Schlagworten?
Apokalypse im Dialog
Was war Ihr schönstes Erlebnis als Kommunikator*in?
Während meines Physik-Studiums haben ich bei einem Stand unseres Fachbereichs zum Studien- und Berufsbasar am Melanchthon-Gymnasium Nürnberg mitgeholfen. Eigentlich nichts besonderes, etwas Informationsmaterial und ein paar einfache Demonstrationsexperimente – die aber schöne sichtbare Effekte bieten (z. B. additive Lichtmischung oder das Durchschmelzen von Nägeln mit einem Hochstromtransformator). Eine Gruppe von herumalbernden Jugendlichen kam vorbei mit der Ansage „Physik? Das braucht kein Mensch!“. Ich wollte es trotzdem probieren und mit ihnen in ein Gespräch kommen. Und siehe da, auf einmal waren sie dann doch super interessiert an den Experimenten und haben sich mit mir über die Phänomene unterhalten. Danach kam der Lehrer zu mir und sagte: „Das ist unglaublich, die hatten bisher nie Interesse am Thema, oder sich überhaupt mal für irgendwas motivieren lassen. Dass die bei Ihnen zehn Minuten einfach so mitgemacht haben, hätte ich vorher nicht geglaubt!“
Was war Ihr größtes Kommunikationsdesaster?
In einem meiner ersten Wissenschaftskommunikations-Workshops als Dozent lief so alles schief was denkbar ist. Es ging um (Daten-)Visualisierung, eigentlich ein Thema das ich sehr mag und zu dem ich auch vieles sagen kann. Dann hatten aber die Teilnehmenden ganz andere Erwartungen, oder ich hätte die Workshopbeschreibung noch viel deutlicher formulieren sollen. In meinem Versuch der Situation gerecht zu werden habe ich meinen Plan über den Haufen geworfen und versucht den Wünschen in der Diskussion Platz zu machen. Was dazu führte, dass die Zeit hinten und vorne nicht mehr reichte für andere Aspekte, was die schon sichtbar unzufriedenen Teilnehmenden noch unzufriedener machte. Kein schöner Tag für alle Beteiligten, und das hat lange an mir genagt. Seit dem achte ich noch mehr auf das Erwartungsmanagement, aber habe auch meinen Frieden mit der Erkenntnis gemacht, dass es – egal wie – immer jemandem zu kurz/lang/detailliert/ausführlich/usw. ist.
Welche Ihrer Eigenschaften stört Sie im Arbeitsalltag am meisten?
Ich bin sehr begeisterungsfähig. Was ja eigentlich ganz schön ist und zu vielen neuen Ideen führt. Aber dann kommt schnell das Problem, dass die vielen neuen Vorhaben auch umgesetzt werden müssen und alles bisherige eigentlich vorher noch erledigt werden will.
Mit welcher (historischen) Person würden Sie gerne essen gehen?
Ich würde sehr gerne zwei Personen einladen, dafür gehen wir nur Kaffeetrinken, um das Budget nicht zu sprengen: Ich würde Edward Bernays, den „Vater der Propaganda“, und Hannah Arendt als wichtige Vertreterin der Politischen Theorie gemeinsam einladen, um mit ihnen über Öffentlichkeiten, Meinungsbildung und die Perspektiven für Wissenschaftskommunikation zu sprechen. Ich glaube, das wird eine kontroverse und spannende Runde!
Ihre Lieblingswissenschaft?
Ganz klar Wissenschaftskommunikations-Forschung, da ist alles drin. Einerseits ist sie ohnehin schon disziplinär vielfältig aufgestellt, von der klassischen Medien- und Kommunikationswissenschaft bis zu beispielsweise Psychologie oder Soziologie. Zudem hat man über die betrachteten kommunikativen Inhalte noch die Möglichkeit, in jede andere erdenkliche Disziplin zumindest Einblicke zu bekommen.
Welches Forschungsthema würden Sie äußert ungern kommunizieren?
Da könnte ich keines nennen. Eher im Gegenteil, gerade da wo es vielleicht unangenehm wird, ist Wissenschaftskommunikation besonders gefragt: vermeintliche Tabuthemen, ideologisch aufgeladene Themenfelder oder kontroverse Forschung. Es ist sicher weder eine leichte noch eine immer dankbare Aufgabe, aber dafür ist Wissenschaftskommunikation da. Eine vielleicht unangenehme Aufgabe als Kommunikator*in kann es dann auch mal sein, einem*r fachlich sicher versierten wissenschaftlichen Würdenträger*in schonend zu vermitteln, dass das eigene Welt- und Wertebild keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann.
Ohne Hindernisse wie Geld oder Zeit: Welches Projekt würden Sie gerne umsetzen?
Oh, es gäbe viele Bereiche, die diesen Ressourcenboost dringend brauchen würden. Leider alles kommunikativ wenig spektakuläre Grundausstattung, wie die Realität traurig aufzeigt: von der Pflege über die Schulen bis hin zu besser grundlagendfinanzierten Hochschulen -> #IchBinHanna, und dabei ist die globale Situation noch gar nicht angesprochen. Um der Frage damit aber nicht auszuweichen, auf die Schnelle noch eine konkrete Wissenschaftskommunikations-Idee: ein Dschungelcamp mit Professor*innen verschiedener Disziplinen, und statt Ekel-Prüfungen gibt es Kommunikationschallenges. Aber da Biologie einen klaren Wissenschaftsbezug darstellt, dürfen schon ein paar Tierchen dabei sein.
In welchem Bereich würden Sie gerne arbeiten, wenn nicht in der Wissenschaftskommunikation?
Da sind wir bei meinem schon zurechtgelegten Ausstiegsplan (Den haben wir doch alle, oder? Oder?): Einen alten Bauernhof herrichten und mich mit der (Rück-)Züchtung alter Obstsorten beschäftigen. Diese Vorstellung möchte ich mir übrigens auch nicht durch ein realistische Wirtschaftlichkeitsbetrachtung oder Kritik an meiner naiven, romantisierenden Vorstellung des Bauernhoflebens zerstören lassen.
Wissenschaftskommunikation im Jahr 2030 ist …
… hoffentlich auf einem Plateau der Produktivität (gemäß des Gartner Hype Cycle, eigentlich für Technologieentwicklungen) angekommen. Hoffentlich haben sich bis dahin einige habituell geprägte Widerstände und Standesdünkel im Wissenschaftssystem erledigt, aber auch manche überzogenen Erwartungen gelegt.
Was halten Sie für die größte Errungenschaft der Wissenschaftsgeschichte?
Wenn ich mir erlauben darf, den Superlativ zu ignorieren (die entsprechenden Antworten von Schrift über wissenschaftliche Methode bis zu Internet sind auch allzu wohlgefällig) möchte ich gerne die Bedeutung jeder gefallenen* Barriere in der Wissenschaft hervorheben: die Möglichkeit für Frauen als Wissenschaftlerinnen tätig zu werden, die Anerkennung von Persons of Color in der Wissenschaft, den Zugang zu höherer Bildung für die ganze Bevölkerung, die Dekolonialisierung von Wissenschaft, und vieles mehr. (* Das sind aber keine abgehakten Errungenschaften, bei vielen fehlt noch die tatsächliche Verwirklichung und es gilt auch die vielen impliziten Barrieren weiter zu Fall zu bringen.)
Wie haben Sie sich als Kind die Zukunft vorgestellt?
Ich glaube ich hatte als Kind gar keine bestimmten prägenden Vorstellungen, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Wenn ich das jetzt so betrachte, zeigt das auch ein großes Privileg: behütet und in einem gut situierten Umfeld aufwachsen zu können im Hier und Jetzt, ohne in Anbetracht der eigenen wenigen positiven Situation den Blick dauernd nach Vorne auf eine Zukunft als Hoffnungsvision oder drohendes noch dystopischeres Szenario werfen zu müssen. Für die künftigen Generationen ist das mit der immer bedrohlicher werdenden Klimakrise nicht mehr so unbeschwert möglich, und für viele Kinder in anderen Teilen der Welt ebenso wenig.
Wie bekommen Sie bei Stress am besten Ihren Kopf frei?
Beim Gärtnern oder Handwerken. Ist auch ein bisschen Vorbereitung für den Bauernhof.
Kolleg*innen helfe ich gerne bei…/Ich stehe gerne Rede und Antwort zu…?
Bei allem ☺ (siehe Begeisterungsfähigkeit). Wenn man gerade eigentlich einen Bericht fertig schreiben müsste, gibt es doch nichts schöneres als schnell mal herauszufinden, wie ein obskures Webdesign-Problem mit HTML-Erfahrungen aus der fernen Vergangenheit umschifft werden kann.
Wem würden Sie den Fragebogen gerne schicken und welche Frage würden Sie dieser Person gerne stellen?
An Aiman Abdallah, den Moderator von Galileo. Von den meisten in der Community wird das zwar als Boulevard abgetan und auf keinen Fall als Wissenschaftsjournalismus bezeichnet, ich sehe darin aber auch Chancen. Ich würde ihn dazu gerne fragen, wie er die Abwägung zwischen der großen Reichweite und Wirkung der Sendung einerseits und der oft zu Recht kritisierten wissenschaftlichen und journalistischen Qualität andererseits bewertet. Und ob er* nicht vielleicht Lust hätte, künftig doch wieder etwas mehr aktuelle Wissenschaft und etwas weniger Ufos zu bringen. (*natürlich wird das von der Redaktion/Sender entschieden, aber fragen kann man ja mal)
Philipp Schrögel ist Forschungskoordinator und er verantwortet die Wissenschaftskommunikation am Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (CAPAS) an der Universität Heidelberg. Apokalyptische Wissenschaftskommunikations-Themen gibt es zur Genüge, wie Klimawandel, Pandemie oder globale Konflikte leider aktueller denn je zeigen. Sein Fokus in Praxis und Forschung liegt auf kreativen und partizipativen Kommunikationsanlässen, ob Science-Slam, Comics oder Science-Street-Art. Eine zentrale Frage für ihn ist, wie Menschen jenseits des Bildungsbürgertums in einen Austausch eingebunden werden können.