Nachgefragt bei Niels Mede
In der Reihe „Nachgefragt“ stellen wir in loser Folge Menschen vor, die in der Wissenschaftskommunikation arbeiten. Mit 17 Fragen - und 17 Antworten, mal ernsthaft, mal humorvoll.
von Paul Sutter
In der sechsundachtzigsten Ausgabe sprechen wir mit Dr. Niels Mede - Kommunikationswissenschaftler und Medienforscher. Er forscht zu Wissenschaftsskepsis und Klimawandelkommunikation und kommuniziert seine wissenschaftlichen Arbeiten auf Twitter schon mal als #Emoji-Abstracts.
Ein*e gute*r Kommunikator*in braucht…?
Intrinsische Motivation, Offenheit und Verständnis für Erwartungen der Zielpublika und womöglich Resilienz gegenüber Desinteresse oder Gegenwind.
Was hat Sie dazu bewogen, in der Wissenschaftskommunikation zu arbeiten?
Die Begeisterung für Wissenschaftskommunikation entstand wohl schon durch „Wissen Macht Ah!“ und manifestierte sich in theaterreif inszenierten Schulreferaten über die Geschichte römischer Thermen oder die physikalische Bestimmung der Elementarladung. Die Motivation, Wissenschaftskommunikation zu erforschen, wuchs dann vor allem dadurch, dass mich immer wieder die Frage beschäftigte, warum manche Menschen wissenschaftlichem Wissen und denen, die es produzieren und darüber kommunizieren, skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen.
Ihr Arbeitsalltag in drei Schlagworten?
Research, teach, repeat.
Was war Ihr schönstes Erlebnis als Kommunikator*in?
In besonders guter Erinnerung habe ich zum Beispiel meine erste Teilnahme an der Scientifica, einer großen Wissenschaftsmesse der Universität Zürich und der ETH Zürich. Am Ausstellungsstand meines Instituts bin ich mit verschiedensten Menschen ins Gespräch über meine Forschung gekommen. Dabei habe ich das erste Mal selbst erlebt, wie interessiert, kritisch und engagiert das öffentliche Publikum der Wissenschaft ist. Das war sehr bereichernd, erfüllend und motivierend. Außerdem habe ich mich zugegebenermaßen sehr darüber gefreut, dass ein Labyrinth-Spiel zu Mediennutzungstypologien an unserem Stand mindestens genauso viel Aufmerksamkeit erregt hat wie die Virtual-Reality-Simulation einer Gletscher-Besichtigung am Nachbarstand. Kommunikation über sozialwissenschaftliche Themen kann also ebenso spannend sein wie Kommunikation über Naturwissenschaften!
Was war Ihr größtes Kommunikationsdesaster?
Als Wissenschaftskommunikationsforscher mache ich mal eine konzeptionelle Unterscheidung zwischen Desastern in der (1) binnenwissenschaftlichen und der (2) außerwissenschaftlichen Kommunikation – wobei ich eher von Malheuren als von Desastern sprechen würde. (1) Ich habe mal Naomi Oreskes zum Lunch getroffen und versucht, ihr so eloquent wie möglich meine Forschung zu erklären und einen tadellosen Eindruck zu hinterlassen. Das scheiterte aber daran, dass wir Döner Kebab gegessen haben – dessen Verzehr bekanntlich mit Tsatsiki-Schnute, Mundgeruch und Rotkohl zwischen den Schneidezähnen verbunden ist. (2) Meine kleinen außerwissenschaftlichen Kommunikationsdesaster des Alltags sind Rechtschreibfehler, defekte Links und irrtümlich getaggte Scam-Accounts in Twitter-Posts.
Welche Ihrer Eigenschaften stört Sie im Arbeitsalltag am meisten?
Meine Neigung, mich während der Arbeit in den Tiefen von Wikipedia zu verlieren.
Mit welcher (historischen) Person würden Sie gerne essen gehen?
Naomi Oreskes. Ich brauche doch eine zweite Chance nach dem Döner-Desaster.
Ihre Lieblingswissenschaft?
Das wechselt phasenweise. Heute von 11:15 bis 12:00 Uhr war es zum Beispiel die Linguistik (da habe ich mich auf Wikipedia durch die Geschichte der Plansprachen gelesen, vgl. Frage 6).
Welches Forschungsthema würden Sie äußert ungern kommunizieren?
Ungern kommuniziere ich über jedes Thema, zu dem ich kein ausreichendes Überblicks- und Hintergrundwissen habe – und das trifft leider auf viele Themen zu. Schwierig ist es auch, über Themen zu kommunizieren, zu denen es wenig systematische, robuste Evidenz gibt. Denn da kollidiert oft der Publikumswunsch nach eindeutigen Antworten mit meinem eigenen Anspruch, wissenschaftliche Unsicherheiten und Forschungslücken transparent zu machen.
Ohne Hindernisse wie Geld oder Zeit: Welches Projekt würden Sie gerne umsetzen?
Wissenschaftskommunikationsforschung und -praxis müssen noch inklusiver werden und dafür die Charakteristika spezifischer Anspruchsgruppen, Bevölkerungsteile, Wissenschaftsthemen und Mediensysteme stärker berücksichtigen. Wichtig ist dabei insbesondere, mehr Sensibilität für die Besonderheiten nationaler oder regionaler Kulturen zu gewinnen, ohne dabei den Blick auf kontextübergreifende Muster zu verlieren – wir müssen also Wissenschaftskommunikation gleichzeitig globaler und lokaler denken. Mit unbegrenzten Ressourcen würde ich daher eine weltweite föderale Infrastruktur für Wissenschaftskommunikationsforschung, -praxis, und -evaluation aufbauen. Regionale Zentren auf allen Kontinenten würden die Produktion, Nutzung und Wirkung von Wissenschaftskommunikation in den jeweiligen kulturellen Kontexten erforschen und auf Basis der Ergebnisse lokale Wissenschaftskommunikationsformate entwickeln, anwenden und evaluieren. Eine globale Dachorganisation würde die Forschungsbefunde und Kommunikationsaktivitäten dann zum Beispiel komparativ analysieren und Synergien der regionalen Zentren identifizieren.
In welchem Bereich würden Sie gerne arbeiten, wenn nicht in der Wissenschaftskommunikation?
Schwer zu sagen. Es müsste eine Mischung aus Profi-Radsport, Teilchenphysik und Kleingärtnerei sein. Aber ich glaube, da findet sich nichts.
Wissenschaftskommunikation im Jahr 2030 ist …
…hoffentlich besser in der Lage, die Potenziale künstlicher Intelligenz auszuschöpfen und mit den Herausforderungen umzugehen, die Verbreitung wissenschaftlicher Falschinformationen in sozialen Medien zu adressieren und gleichzeitig den Mehrwert dieser Medien nicht zu verkennen, und Kommunizierende und Forschende vor öffentlichen Anfeindungen zu schützen. Viel zu tun in den nächsten sieben Jahren.
Was halten Sie für die größte Errungenschaft der Wissenschaftsgeschichte?
Die vielleicht wichtigste Errungenschaft der Wissenschaft ist, dass sie organisiert und systematisch wurde – und sich also Regeln, Prinzipien und Normen gab.
Wie haben Sie sich als Kind die Zukunft vorgestellt?
Zu einfach. Ich glaube, ich habe gedacht, dass ich Astrophysiker werde, einen Stern entdecke und dafür so bekannt werde, dass mir jemand eine Professur auf Lebenszeit anbietet. Aber das mit der Professur – geschweige denn die entfristete Beschäftigung – ist ja bekanntermaßen nicht so leicht. #IchBinHanna
Wie bekommen Sie bei Stress am besten Ihren Kopf frei?
Auf‘s Rennrad setzen und ins Grüne fahren.
Kolleg*innen helfe ich gerne bei…
…allem, was ich selbst auch schon einmal (durch)gemacht habe. Egal, ob es das Schreiben von wissenschaftlichen Texten, Code, Bachelorarbeitsgutachten oder Emoji-Abstracts auf Twitter betrifft oder um schwierige Karriereentscheidungen, Dissertationsstress, oder die Entscheidung für das neue Rennrad geht.
Wem würden Sie den Fragebogen gerne schicken und welche Frage würden Sie dieser Person gerne stellen?
Mich würde sehr interessieren, welche spezifischen Herausforderungen strukturell benachteiligte Personen wie Vanessa Nakate oder Stephen Hawking in ihrer Rolle als Klimawandel- beziehungsweise Wissenschaftskommunikator*innen erlebt haben. Welche Ratschläge hätte Hawking Kommunikator*innen geben, denen aufgrund von Behinderungen ihre Expertise abgesprochen wird? Wie geht Nakate damit um, wenn sie in der Medienberichterstattung diskriminiert wird?
Dr. Niels Mede ist Oberassistent am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich, wo er zu Wissenschaftskommunikation forscht. Derzeit ist er Visiting Research Fellow am Oxford Internet Institute der University of Oxford. In seiner Forschung fokussiert er auf öffentliche Kommunikation und Meinung über Wissenschaft, Wissenschaftsskepsis, Klimawandelkommunikation, und Befragungsmethoden. Zudem ist er Sprecher der Fachgruppe „Wissenschaftskommunikation“ der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften.