Enjoy the Challenge - Veränderungen durch Citizen Science
Kann Citizen Science dazu beitragen, das System Wissenschaft fit für künftige Herausforderungen zu machen? Darüber sprachen wir im Anschluss ans diesjährige Forum Citizen Science mit den Projektleiterinnen Wiebke Brink von Wissenschaft im Dialog und Susanne Hecker vom Museum für Naturkunde.
von Ursula Resch-Esser
Das Forum Citizen Science #digital stand unter dem Motto "Vertrauen, Wirkung, Wandel. Citizen Science als Antrieb von Veränderung?" Rund 250 Teilnehmende waren am 6. und 7. Mai 2021 zusammengekommen, um über die Weiterentwicklung von Citizen Science zu diskutieren. Wir sprachen mit den Organisatorinnen der Konferenz Wiebke Brink, Wissenschaft im Dialog, und Susanne Hecker, Museum für Naturkunde, über das Forum Citizen Science, Vertrauen in die Wissenschaft und vor welchen Veränderungen das Wissenschaftssystem steht.
Wie wichtig das Vertrauen in die Wissenschaft ist, hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt. Kann Citizen Science helfen, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken?
Wiebke Brink: Das ist eine große Frage und das Forum Citizen Science hat gezeigt, dass es wichtig ist, ganz genau hinzusehen und zu differenzieren. Um welche Art von Vertrauen geht es? Um das Vertrauen, das im Rahmen eines bestimmten Projekts entsteht, in dem ich mich engagiere, oder um Vertrauen in die Wissenschaft als System? Das Wissenschaftsbarometer zeigt, dass das allgemeine Vertrauen in die Wissenschaft eher stabil hoch ist. Andere Untersuchungen zeigen, dass derzeit viele Citizen-Science-Projekte eher wissenschaftsaffine Teilnehmende erreichen, hier also so etwas wie ein selbstverstärkender Effekt eintreten kann. Wichtige Fragen für die Zukunft sind: Wie müssen Citizen-Science-Projekte konzipiert sein, um auch Menschen anzusprechen, die nicht per se wissenschaftsaffin sind? Und welche Art der Beteiligung im Projekt fördert wie stark Engagement, Ownership und Vertrauen? Dass in Citizen Science ein großes Potential für gegenseitiges Vertrauen auf Projekt- und Systemebene steckt, das klang beim Forum in vielen Workshops und Vorträgen an.
Ein Anspruch von Citizen Science ist die Demokratisierung der Wissenschaft. Wie erfolgreich ist Citizen Science dabei und wie kann man das messen?
Wiebke Brink: Der Anspruch von Citizen Science ist, gemeinsam an einer Forschungsfrage zu arbeiten. Alle weiteren formulierten Ziele wie etwa Bildung zu einem bestimmten Thema, Vertrauen in Wissenschaft zu stärken oder scientific literacy zu fördern sind nachgeordnete Ziele, für deren Erreichung in Citizen Science aber ein riesengroßes Potential steckt. Friederike Hendriks sagte in der Expert*innenrunde, dass Wissenschaft auch immer ein sozialer Prozess ist, ein Aushandlungsprozess. Wissenschaftler*innen seien stark festgelegt in systematischen Denkprozessen. Wenn diese nun durch weitere Perspektiven, durch die Zusammenarbeit mit Bürger*innen erweitert, in Frage gestellt oder in eine andere Richtung gelenkt werden, dann verändert sich damit das Verhältnis zwischen den Beteiligten. Eigentlich ändert sich das Verhältnis schon vorher, nämlich durch die Entscheidung, dass eine Forschungsfrage nur gemeinsam zu lösen ist. Insofern ja, das ist für mich ein demokratisierendes Element und eine neue Form der Zusammenarbeit.
Wie intensiv diese ist und wie viel Offenheit zum Beispiel auch in Bezug auf die gemeinsame "Koordination von Evidenz und Theorie", so nannte es Friederike Hendriks, im Forschungsprozess besteht, das ist wiederum die differenzierende Folgefrage. Und von dieser Intensität der Zusammenarbeit hängt natürlich vieles ab: Was lerne ich, engagiere ich mich weiter, ändert sich etwas an meinem Verhalten oder meinen Einstellungen durch die Mitarbeit oder die Ergebnisse des Projekts. Ob, auf welcher Ebene und mit welchen Tools und Methoden man diese Wirkung von Citizen Science messen kann, das rückt gerade in den Fokus der Aufmerksamkeit. So existieren inzwischen auch zwei Arbeitsgruppen, die sich mit der “Science of Citizen Science” und der Evaluation auf der Projektebene befassen. Die letztgenannte Arbeitsgruppe hatte auf dem Forum ihr Gründungstreffen. Auch im Blog bei buergerschaffenwissen.de beschäftigen wir uns in einer ganzen Reihe mit dem Thema Wirkung und ihre Messung. Dort werden verschiedene Studien und der derzeitige Stand der Forschung vorgestellt.
Gibt es Beispiele für die oben erwähnte intensive Einbindung von Bürgerwissenschaftler*innen?
Wiebke Brink: Es gibt Projekte, in denen ko-kreativ gearbeitet wird. Ein oft genanntes Beispiel ist das Projekt Patient Science, in dem Patient*innen als aktive Mitforscher*innen den gesamten Forschungsprozess mit gestaltet und gesteuert haben. Das sind spannende Prozesse, gerade in Bezug auf die oben gestellten Fragen. Den Wert von Citizen Science sehe ich aber gerade auch in der Vielfalt der Angebote und Möglichkeiten - ich kann mich spontan und punktuell in vielen verschiedenen Projekten beteiligen, ich kann mich aber auch sehr intensiv und langfristig in einem Projekt engagieren.
Das Wissenschaftssystem muss sich ändern, um die kommenden gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern, forderte Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde, beim Forum Citizen Science. Wie kann das gelingen und welche Rolle soll Citizen Science dabei spielen?
Susanne Hecker: Die Wissenschaft trägt demokratische Verantwortung. Wir sind mitten in großen Herausforderungen für unsere Demokratie und das wird nach Beendigung der Pandemie noch stärker zutage treten. Eine Kommunikation von oben herab in der Haltung der Besser-Wisser kommt bei niemandem gut an. Wir brauchen eine selbst-reflexive Haltung, sollten unsere eigenen Wertvorstellungen kritisch überdenken, die Machtgefüge hinterfragen, in denen wir stehen und arbeiten. Johannes Vogel hat für die Arbeit von Wissenschaftler*innen kürzlich in einem Artikel in der FAZ die Forderung aufgestellt: Einen Tag pro Woche Wissenschaftskommunikation, das entspricht 20 Prozent der Arbeitszeit. In den Dialog gehen mit Menschen außerhalb unserer eigenen Bubble, ihnen zuhören, mit ihnen diskutieren, ihr Wissen, ihre Erfahrungen anerkennen. Citizen Science bietet dafür einen wunderbaren Raum. Nicht jedes Projekt kann den großen Wurf erzielen, aber je mehr solcher Projekte es gibt, die bewusst diesen Raum bieten, desto besser.
Auch Citizen Science kann ohne Geld nicht leben. Wie sind die Perspektiven für die Förderung von Citizen Science in Deutschland und europaweit?
Susanne Hecker: Das BMBF, einzelne Wissenschaftsorganisationen und andere Fördergeber sind an Citizen Science interessiert und holen sich das Feedback und den Input der Citizen Science-Community ab. Das ist erfreulich. Die Gesamtfördersummen ermöglichen einzelne Projekte. Was noch fehlt, ist die Förderung von Forschung zu Citizen Science, um Erkenntnisse auch weiterzuvermitteln. Auf europäischer Ebene sehen wir in der Förderstrategie bereits einen breiten Wandel hin zu einer Öffnung des Wissenschaftssystems und da spielt Citizen Science eine wichtige Rolle.
Was waren eure ganz persönlichen Highlights beim diesjährigen Forum Citizen Science?
Susanne Hecker: Ganz ehrlich? Das Pub Quiz am Vorabend des Forums war große Klasse und hat alle in eine lockere und offene Stimmung versetzt. Ich war beeindruckt von der Qualität der Beiträge und deren Vielfalt. Und was mich immer und immer wieder aufs Neue für diese Community begeistert, ist die Offenheit, mit der die Personen, die aus den unterschiedlichsten Disziplinen und mit ganz unterschiedlichem Hintergrund kommen, aufeinander zugehen.
Wiebke Brink: Professorin Vera Meyer hat in ihrer Keynote einen Satz gesagt, der für mich eigentlich alles zusammenfasst, was Citizen Science derzeit ausmacht: Enjoy the challenge! Citizen Science ist eine Herausforderung auf ganz vielen Ebenen. Und es gibt noch viel zu tun, bis es tatsächlich als ein selbstverständlicher Ansatz für Forschung gelten kann - gefragt sind eine ausreichende Finanzierung oder Fördermöglichkeiten, der Kompetenzaufbau und die Etablierung von unterstützenden Strukturen an Institutionen oder in den Regionen bis hin zur Stärkung der Anerkennung von Citizen Science in der Wissenschaft. Aber die Motivation ist groß, ebenso die Bereitschaft zum voneinander Lernen und die Lust auf den Austausch und die Zusammenarbeit! Und das hat man auch auf der Tagung gespürt!
Das digitale Forum Citizen Science 2021 fand am 6. und 7. Mai statt. Kooperationspartner war die Technische Universität Berlin. Das Forum Citizen Science 2022 wird am 12. und 13. Mai ausgerichtet. Weitere Informationen zur diesjährigen Veranstaltung und dem Kooperationspartner finden sich auf der Website von Bürger schaffen Wissen.