Ein Jahr Scicomm-Support

Foto eines Rettungsrings vor stürmischer See
© woning / Getty Images
30. Juli 2024

Seit einem Jahr berät der Scicomm-Support bei Angriffen und unsachlichen Konflikten in der Wissenschaftskommunikation. Anlässlich des Jubiläums spricht Projektleiterin Kristin Küter über die Strukturen hinter Hatespeech und teilt ihre Erfahrungen mit dem Beratungsangebot.

von Kristin Küter

Die Beratung des Scicomm-Supportes ist nun seit einem Jahr erreichbar. Im Juli 2023 nahmen wir unseren Dienst auf und beraten seitdem Personen, die Anfeindungen im Zuge ihrer Wissenschaftskommunikation erleben. Zu Beginn umfasste das Angebot eine telefonische Fallberatung mit kommunikativer, rechtlicher und bei Bedarf auch psychologischer Unterstützung. Anfang 2024 haben wir unser Angebot um Workshops und Weiterbildungen erweitert. Die neuen Angebote werden gut angenommen: Wir haben mehr als 40 Anfragen erhalten und der Terminkalender für den Herbst füllt sich rasch.

Konkrete Zahlen zu unserer telefonischen Beratung planen wir Ende 2024 zu veröffentlichen, um sie auf eine statistisch verlässliche Basis zu stellen. Eine qualitative Bilanz kann jedoch bereits gezogen werden: Die Fälle unterscheiden sich stark. Manchen Anrufenden können wir schnell und unkompliziert helfen, beispielsweise indem die Berater*innen erst einmal zuhören und dann für die jeweilige Art der Anfeindung kommunikative Beratung leisten. Diese Fälle benötigen keine rechtliche oder psychologische Betreuung und berichten uns von einzelnen Vorfällen. Andere Fälle erfordern eine längerfristige und umfassendere Betreuung. Dies bedeutet, dass wir mehrfach mit den Betroffenen sprechen, uns gegebenenfalls im Berater*innenkreis über den Fall austauschen und mitunter unsere rechtliche Beratung einbeziehen, um bei rechtlichen Fragen und vor Gericht direkt zu unterstützen. Diese intensive Begleitung ist notwendig zur Unterstützung der Betroffenen bei der Bewältigung dieser schwierigen Phasen. Wir hatten vor dem Start der Anlaufstelle nicht damit gerechnet, dass so viele Fälle langfristiger Natur sein würden. Das hat sich aber sehr schnell gezeigt, denn schon kurz nach dem Start hat sich eine Person bei uns gemeldet, die leider schon seit vielen Jahren angefeindet wird.

Solche längerfristigen Fälle können damit beginnen, dass beispielsweise ein diffamierender Zeitungsartikel oder ein Blogbeitrag in tendenziösen Medien über die Forschung oder direkt über die Wissenschaftskommunikation einer Person veröffentlicht wird. Je nach Reichweite des Mediums kann dies einen Shitstorm mit viel Hassrede auslösen - häufig in Form von Hasskommentaren in den Sozialen Medien, aber auch in Form von Anfeindungen per E-Mail, Telefon oder persönlich. Die Hassrede zielt oft gegen die Person, ihre tatsächliche oder unterstellte Gruppenzugehörigkeit sowie ihre persönlichen Eigenschaften wie Hautfarbe, Geschlecht oder sexuelle Orientierung. Manchmal werden diese Angriffe durch Beleidigungen und falsche Tatsachenbehauptungen verstärkt. Die Hatestorms können koordiniert sein und somit ein politisches Momentum erhalten. Konkret verabreden sich bestimmte Gruppen, um eine bestimmte Person anzugreifen, um auf diese Weise die Kommunikation zu einem bestimmten Thema zu behindern. Insofern, dass die Ressourcen der betroffenen Person stark beansprucht werden, sie an ihrer Arbeit oder Forschung gehindert wird oder es sogar zu einem Silencing-Effekt kommt. Die Gender- oder Klimaforschung beispielsweise geraten leider oft in diesen Fokus. Auch wenn die Diffamierungen persönlich werden, zielen die meisten Angriffe auf das Forschungsthema und seine Implikationen für unser gesellschaftliches Zusammenleben. Diese genannten Aspekte werfen die Frage auf, ob wir als Gesellschaft dies akzeptieren wollen und welche Diskurse bereits unter welchen Bedingungen stattfinden.

Grenzen des Justiziablen werden von der “Gegenseite” im Internet gezielt kommuniziert und von Angreifer*innen ausgenutzt. Frei nach dem Motto: ‘Wie kann ich einen Shitstorm möglichst effektiv und lähmend gestalten, ohne dabei rechtliche Schritte fürchten zu müssen.’ Ein aktueller Fall aus unserer Beratung zeigt leider auch, dass betroffene Wissenschaftler*innen auch nach dem Abflauen des Shitstorms weiterhin solchen Nachrichten und Anfeindungen ausgesetzt sind. In geringerem Maße und oft im Graubereich des Rechts.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) im Rahmen des Projektes Kapazitäten und Kompetenzen im Umgang mit Wissenschaftsfeindlichkeit (KAPAZ) zeigt, dass bereits 45 Prozent aller Wissenschaftler*innen in Deutschland Anfeindungen erlebt haben. Diese hohe Zahl bestätigt den Eindruck, welcher sich aus den Diskursen während der Corona-Pandemie ergab und sich fortgesetzt hat. Die untersuchten Anfeindungen reichen von herablassenden Äußerungen, über Beleidigungen, das Absprechen der Kompetenz, Abwertung mit aktiver Diskriminierung (insbesondere bei Frauen) bis hin zu massiven Drohungen und tätlichen Angriffen. Manch eine*r mag argumentieren, dass herablassende Äußerungen und das Absprechen der Kompetenz nicht per se Anfeindungen darstellen und die Definition von Wissenschaftsfeindlichkeit vor allem in Untersuchungen enger gefasst werden müsse, allein schon, um das Feld nicht zu überschätzen. Dies ist eine berechtigte Überlegung. Dennoch gilt vor allem für den digitalen Raum: “Hass im Netz kann alle treffen, aber er trifft nicht alle gleich.” Was heißt das genau und welche Belege gibt es dafür?

Abwertungen mit diskriminierenden Erfahrung machen vor allem Wissenschaftlerinnen, so die Studienergebnisse des DZHW. Dazu kommt theoretisch auch die Häufigkeit dieser Erfahrungen. Ein einmaliges Absprechen der Kompetenz mag schneller überwunden sein, wiederholtes Absprechen hingegen verfängt. Weitere Studien und repräsentative Befragungen zum digitalen Raum und den Sozialen Medien zeigen, dass Frauen häufiger von Hass betroffen sind als Männer. Außerdem sind Frauen bei den Anfeindungen häufiger von sexueller Belästigung betroffen. Und sie berichten häufiger von schwerwiegenden Folgen dieser Belästigung. Hinzu kommt, dass Frauen stärker unter Online-Hass leiden. Er führt bei Frauen häufiger zu emotionalem Stress, mehr als doppelt so häufig wie bei Männern, und fast dreimal so oft zu körperlichen Beschwerden, einschließlich Depressionen. Aufgrund dieser Anfeindungen sind Frauen seltener bereit, ihre politische Meinung im Netz offen zu vertreten. Vor allem junge Frauen halten sich nach Erfahrungen mit Hassrede mit ihren Äußerungen zurück. Während Männer und Frauen sich darüber einig sind, dass Hassrede die Vielfalt des Diskurses gefährdet, sind Frauen durchschnittlich vulnerabler gegenüber den negativen Auswirkungen des Hasses.

Ein weiteres Problem: Personen, die Hassrede erlebt haben, ziehen sich schneller aus dem Diskurs zurück. Was bedeutet das für den Diskurs, was für die Wissenschaftskommunikation von Wissenschaftler*innen und was für unsere Beratung beim Scicomm-Support? Der Diskurs läuft Gefahr, einseitig zu werden. Als erstes ziehen sich Personen aus dem Diskurs zurück, die persönlich betroffen sind. In diesem Blogpost wird nur das Geschlecht als Kategorie diskutiert, andere Gruppenzugehörigkeiten verstärken den Effekt intersektional. Es droht, Ungleichheit zu verstärken: Bereits marginalisierte Personen verlieren zusätzlich die Möglichkeit, sich an Diskursen zu beteiligen. Es droht der Verlust des demokratischen, pluralistischen Diskurs, wenn Stimmen von vielfältigen Gruppen verloren gehen, weil der Diskurs verroht. Auch die Wissenschaftskommunikation lebt von Vielfalt: in ihren Fachgebiete, in ihrer Kommunikator*innen und von ihren diversen Stimmen.

Für unsere Beratung bedeutet das, dass wir weiterhin früh ansetzen und alle Fälle bis zum Ende begleiten. Wir legen Betroffenen nahe, sich frühestmöglich zu melden. Wo die Schwelle zwischen Diskussion und Hass und Angriffen verläuft, wird zwar subjektiv empfunden. Trotzdem gibt es eine strukturelle Ebene bezüglich der Gruppen, die vermehrt betroffen sind. Diese Ebene darf nicht außer Acht gelassen werden.

Es ist essentiell für einen demokratischen Diskurs, den Rückzug vielfältiger Stimmen zu verhindern, die Vielfalt zu wahren und Wissenschaftskommunikation zu stärken. Demokratie bedeutet inklusiven Diskurs und Dissens. Beides wird durch Hass und Anfeindungen bedroht. Dies macht den Schutz vor ihnen umso wichtiger.

Quellen/Genannte Studien

Blümel, Clemens. 2024: Anfeindungen gegen Forschende: Eine repräsentative Studie des Projektes KAPAZ. Kurzdossier über die Berichterstattung. Hrsg: Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung GmbH (DZHW).

Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und Neue deutsche Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz (Hrsg.) (2024): Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung. Berlin. S.63

Eckes et al 2018: #Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie. Eine repräsentative Untersuchung in Hessen. Hrsg.: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. S.14-15, S.17, S. 22

Reset und Pollytix Strategic Research (2021): Hass in Sozialen Medien. Bundesweite repräsentative Befragung von wahlberechtigten Internetnutzer:innen. S. 34

Eckes et al 2018: #Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie. Eine repräsentative Untersuchung in Hessen. Hrsg.: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. S.29

Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und Neue deutsche Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz (Hrsg.) (2024): Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung. Berlin. S.55