Ein allgemeines Grundvertrauen in Wissenschaft und Forschung

Bastian Kremer präsentiert die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers. Im Vordergrund ist das Publikum zu sehen.
© Simon Esser / Wissenschaft im Dialog
11. November 2024

Das Wissenschaftsbarometer feiert Geburtstag. Seit zehn Jahren erhebt die repräsentative Umfrage Einstellungen der Deutschen zu Wissenschaft und Forschung. Manche Fragen werden immer wieder gestellt, andere widmen sich einem aktuellen Thema, in diesem Jahr der Wissenschaftsfreiheit. Welche Trends lassen sich beobachten? Und was sind die neuesten Ergebnisse? Im Interview sprechen Liliann Fischer und Bastian Kremer über Vertrauen in die Wissenschaft und den Einfluss von Wirtschaft und Politik.

von Ursula Resch-Esser

Liliann, Bastian, welches Ergebnis hat euch in diesem Jahr am meisten überrascht?

Bastian Kremer: Besonders spannend sind aus meiner Sicht die Ergebnisse aus diesem Jahr zum Vertrauen in die Aussagen von Forschenden zu den Themen Klimawandel und erneuerbare Energien. Zum einen, weil wir diese Einstellung zuletzt 2016 erhoben haben und es hier interessant für uns war, nach all der Zeit hier mal wieder einen Einblick zu bekommen. Zum anderen, weil sich hier im Verlauf der letzten acht Jahre tatsächlich viel getan hat. Haben 2016 noch 53 Prozent gesagt, dass sie wissenschaftlichen Aussagen zu erneuerbaren Energien eher oder voll und ganz vertrauen, sind es dieses Jahr 65 Prozent. Noch deutlicher ist der Unterschied beim Vertrauen in wissenschaftliche Aussagen zum menschengemachten Klimawandel: 59 Prozent geben dieses Jahr an, diesen eher oder voll und ganz zu vertrauen - 2016 waren das mit 39 Prozent noch deutlich weniger. Das wirft - wie auch schon zu Beginn der Coronapandemie - wieder die spannende Frage auf, wie stark Vertrauen in Wissenschaft eigentlich davon abhängt, dass bestimmte Themen von den Menschen als wichtige gesellschaftliche Herausforderung wahrgenommen werden und von denen sie am Ende auch selbst betroffen sind.

Bei welchen anderen Einstellungen beobachtet ihr in den vergangenen zehn Jahren ähnlich starke Veränderungen?

Liliann Fischer: Wir sehen insbesondere zwei Fragen, bei denen sich ein Trend in den Einstellungen ablesen lässt. Zum einen gibt es im Langzeittrend von 2014 bis heute einen deutlich geringeren Anteil an Personen, die sich eher nicht oder gar nicht auf dem Laufenden über Wissenschaft und Forschung fühlen. Ebenfalls beobachten wir, dass über die Jahre der Anteil der Befragten gestiegen ist, die den Einfluss der Wissenschaft auf die Politik für genau richtig halten. Dieses Jahr ist der Anteil derer, die den Einfluss für zu gering halten, zwar wieder etwas größer. Insgesamt scheint es aber so zu sein, dass der Einfluss von Wissenschaft auf Politik von deutlich mehr Menschen als genau richtig wahrgenommen wird, als es noch vor zehn Jahren der Fall war. Im Allgemeinen sehen wir aber nur bei wenigen Fragen eine wirklich starke Veränderung über die Jahre. Im Gegenteil: Bei vielen Fragen ergibt sich sogar ein relativ stabiles Bild. Die Einstellungen der Bürger*innen zu vielen Aspekten von Wissenschaft und Forschung scheinen in Deutschland eher konstant und keinen großen Schwankungen unterworfen.

Die Frage nach dem Vertrauen in die Wissenschaft ist seit 2014 Bestandteil des Wissenschaftsbarometers. Wie haben sich die Zahlen entwickelt - und was kann die Wissenschaftskommunikation daraus lernen?

Bastian Kremer: Die Daten zum Vertrauen in die Wissenschaft sind wirklich sehr spannend. Die Antworten zeigen, so unser Eindruck, sowohl eine generelle Tendenz, als auch die Auswirkung aktueller Ereignisse auf die Einstellung der Bevölkerung. Während der Coronapandemie konnten wir ja zeitweise ein sehr stark gestiegenes Vertrauen in Wissenschaft und Forschung beobachten, inzwischen bewegen wir uns wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Coronapandemie. Da liegt es natürlich nahe zu vermuten, dass das Ereignis der Coronapandemie diesen Anstieg ausgelöst hat. Die große Alltagsrelevanz der Coronapandemie für die Bevölkerung und die aktive Rolle, die Wissenschaft und Forschung in der Bekämpfung der Coronapandemie gespielt haben, sind hier sicher entscheidend für den Vertrauensanstieg. Den darauf folgenden Rückgang des Vertrauens sollten wir aber nicht als einen Abwärtstrend interpretieren. Es wirkt eher so, als gäbe es in Deutschland ein allgemeines Grundniveau beim Vertrauen in Wissenschaft und Forschung, auf dem wir uns inzwischen wieder eingependelt haben. Das Bild wird etwas differenzierter, wenn wir uns die Einstellung nach formalem Bildungsniveau der Befragten anschauen. Wir sehen, dass bei den Befragten mit hohem formalen Bildungsniveau auch nach der Pandemie und bis heute die Vertrauenswerte sehr hoch sind und teils bei bis zu 80% liegen. Die Werte der Gruppen mit mittlerem oder niedrigem formalen Bildungshintergrund haben sich dagegen recht schnell wieder auf die Werte vor der Coronapandemie eingependelt.

Welche Unterschiede zeigen sich beim Wunsch nach aktiver Beteiligung in Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation mit Blick auf verschiedene Bevölkerungsgruppen?

Liliann Fischer: Wir sehen hier ganz deutlich, dass der Wunsch nach aktiver Beteiligung bei den Menschen mit eher hohem formalen Bildungshintergrund höher ist, als bei Menschen mit mittlerem oder niedrigem formalen Bildungshintergrund. Umgekehrt sieht es aus bei der Frage, ob Menschen in Entscheidungen über Forschungsthemen einbezogen werden sollten. Hier ist der Wunsch bei Menschen mit mittlerem oder niedrigem formalen Bildungshintergrund stärker ausgeprägt. Eine mögliche Erklärung ist, dass Menschen, die formal eher hoch gebildet sind, sich auch eher zutrauen, in einem Forschungsprojekt mitzuforschen, oder ein Gespräch mit einer Person aus der Forschung zu führen. Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, dass sie sich eher damit wohlfühlen, die Entscheidung über Forschungsthemen an die Forschung abzugeben, da sie dort die angemessene Expertise für diese Entscheidung sehen. Es zeigt sich also, dass vor allem Menschen mit geringerer formaler Bildung mitentscheiden möchten, worüber geforscht wird und wie Forschung in der Gesellschaft eingesetzt wird. Hier ergeben sich wichtige Impulse für die Wissenschaftskommunikation. Einerseits unterstreichen die Ergebnisse die Bedeutung von Transparenz im Forschungsprozess. So ist es wichtig, für Bürger*innen nachvollziehbar zu machen, wie die Entscheidung für ein Forschungsthema fällt und aus welchem Grund aktuelle Themen beforscht werden. Gleichzeitig gibt das Ergebnis auch den Impuls, Formate zu entwickeln, die zugänglich sind für Menschen mit verschiedenen Bildungshintergründen, sodass sich auch Menschen mit weniger hoher formaler Bildung willkommen und motiviert fühlen, an den Formaten teilzunehmen.

Das Wissenschaftsbarometer 2024 fragt erstmals nach der Wissenschaftsfreiheit. Welches sind die zentralen Ergebnisse?

Bastian Kremer: Wir sehen in der Tendenz eine eher positive Wahrnehmung vom Zustand der Wissenschaftsfreiheit in Deutschland. Viele Bürger*innen scheinen bei der Frage aber auch unentschieden zu sein und geben keine klare Einschätzung ab. Bei der Frage nach potentiellen Gefahren für die Wissenschaftsfreiheit sehen wir, dass ein Angriff auf Forschende in den sozialen Medien und die verzerrte Darstellung von Forschung durch Journalist*innen für wahrscheinlich gehalten werden. Eine aktive Beeinflussung an Hochschulen halten die Befragten hingegen für weniger wahrscheinlich. Diese Ergebnisse sind sicher im Lichte der Alltagserfahrungen zu sehen, die viele Menschen machen. So beobachten sie den Diskurs in den sozialen Medien, in dem der Ton gegenüber allen möglichen Akteursgruppen immer rauer wird. Auch Wissenschaftler*innen sind davon immer wieder betroffen. Genauso werden verzerrte Darstellungen in den Medien aktuell häufig öffentlichkeitswirksam diskutiert.

Liliann Fischer: Gleichzeitig haben nicht alle Bürger*innen Einblicke in und persönliche Erfahrung mit der Arbeit an Hochschulen. Wir können also mit der Frage, ob Hochschulen Einfluss auf die Kommunikation nehmen, oft nur ein Bauchgefühl abfragen, inwiefern Bürger*innen Hochschulen und andere wissenschaftliche Einrichtung als Räume der Freiheit für Forschende sehen. Dass Forschende selbst eine ganz andere Wahrnehmung davon zu haben scheinen, wie frei sie in ihrer Wahl von Forschungsthemen und der Kommunikation dazu sind, konnte jüngst eine Studie des DZHW und der ZEIT zeigen, in der 79 Prozent der befragten Wissenschaftler*innen angegeben haben, dass es eher oder sehr gut um die Autonomie und Freiheit des deutschen Wissenschaftssystems steht. Daran zeigt sich, dass das Bild in der Bevölkerung von der Wissenschaftsfreiheit in Deutschland ein gutes Stück weit pessimistischer ist als das der Forschenden selbst. Das wirft wiederum die Frage auf, wo diese unterschiedliche Wahrnehmung herrührt. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die stärkere Wahrnehmung der Bevölkerung, dass Geldgeber aus Wirtschaft und Politik die öffentliche Kommunikation potentiell beeinträchtigen, indem sie Forschenden vorschreiben, was kommuniziert werden darf.

Der Einfluss von Wirtschaft und Politik auf die Wissenschaft wird von der Mehrheit der Befragten generell als zu groß eingeschätzt. Wie passt das mit dem Ergebnis zusammen, dass fast die Hälfte der Befragten denkt, dass es eher oder sehr gut um die Wissenschaftsfreiheit steht?

Liliann Fischer: Wir denken, dass das nicht unbedingt ein Widerspruch sein muss. Das können auch zwei voneinander unabhängige Einschätzungen sein: Bei der Frage nach der Wissenschaftsfreiheit haben wir nach der grundlegenden Einschätzung der aktuellen Situation gefragt. Die Bewertung, dass diese Situation grundsätzlich gut ist, kann aber natürlich mit der Einschätzung einhergehen, dass in einzelnen Bereichen noch Verbesserungsbedarf besteht oder Gefahren für die Wissenschaftsfreiheit gesehen werden. Ich würde das Ergebnis so interpretieren, dass die Wissenschaftsfreiheit als Grundsäule der deutschen Gesellschaft als stabil betrachtet wird, während gleichzeitig eine Herausforderung in der Abhängigkeit der Wissenschaft von Geldgebern allgemein und von Wirtschaft und Politik im Besonderen gesehen wird. Hier ergibt sich auch für die Wissenschaftskommunikation wichtiger Handlungsbedarf, Finanzierung von Forschung und Entscheidungen über Schwerpunktsetzung in der Forschung transparent zu machen und in diesen Punkten für mehr Klarheit zu sorgen.